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Glanz&Elend Magazin für Literatur und Zeitkritik

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Foto: Abbas Yari,
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Alters-Wut & -Milde

Das Tagebuch und der letzte Roman des Nobelpreisträgers José Saramago.

Von Wolfram Schütte

Weil der Rowohlt-Verlag, in dem alle seine Bücher auf deutsch bisher erschienen waren, sich weigerte, die Printfassung seines Internet-Blogs, das er vom Herbst 2008 bis Frühjahr 2009 geführt hatte, ungekürzt vorzulegen, verließ der 87jährige portugiesische Literaturnobelpreisträger seine langjährige »deutsche Adresse«. Er wechselte von Reinbek bei Hamburg zu dem einstigen Verlag Heinrich Heines in Hamburg.

Hoffmann und Campe hat also José Saramagos letzte Werke auf Deutsch herausgebracht: Das Tagebuch und den Roman d´essay Die Reise des Elefanten. Noch während sein neuer deutscher Verlag die ihm zugefallenen Bücher zur Publikation herrichtete, starb Saramago im Frühjahr - bevor seine deutschen Leser Die Reise des Elefanten begleiten konnten, der des Autors spanischer Frau, gewidmet ist - mit der offenbar nur kurzzeitig gültigen Widmung: »Pilar, die nicht zugelassen hat, dass ich sterbe«.

Im Tagebuch berichtet Saramago am 23.12 2008, dass ihn am 22. Dezember 2007 nachts um 4 Uhr »ein totaler Organkollaps« ereilte und der Scheintote erst neun Stunden später »wiederauferstanden« sei. Im Laufe eines Jahres der langsamen Genesung habe der auf Lanzerote lebende Autor seine eigene Reise des Elefanten unternommen - also mit Hilfe des »Allheilmittels Arbeit» den gleichnamigen späten Roman über einen historischen Vorfall geschrieben, in dem ein indischer Elefant - das diplomatische Geschenk des portugiesischen Königs an den in Valladolid weilenden Erzherzog Maximilian von Österreich - von Lissabon über Genua nach Wien kommt. Das Tagebuch berichtet u.a. von der Präsentation dieses letzten publizierten Romans des Nobelpreisträgeres - aber auch, dass er an einem »letztesten« (Goethe) arbeitet, von dem mir nicht bekannt ist, ob er postum (als Fragment?) mittlerweile publiziert wurde oder bisher nur als unpubliziertes Fragment existiert.

So ist sein »skandalöses Tagebuch« (in dem er auch einige frühere Stellungnahmen & Meinungsäußerungen integrierte) eine facettenreiche Sammlung Letzter Worte geworden: über alles, was José Saramago auf Reisen oder zuhause auf Lanzerote in diesem rund einem halben Jahr bewegte & erregte - und was er nicht unkommentiert lassen wollte: seien es Freundschaftsworte, Rührungen, Parteinahmen oder Empörungen. Immer ist´s: mea res agitur.

Vorbehaltlose Sympathie & rücksichtsloser Hass

»Skandalös« war darin weniger Saramagos militanter Atheismus & Antipapismus, seine Wut über die Neoliberalen und seine Verachtung für den amerikanischen Präsidenten Bush jr., den er für ausgesprochen dumm & lügnerisch oder den italienischen Ministerpräsidenten Berlusconi, den er für einen Verbrecher hielt. Das sind ja weder originelle, noch (meines Erachtens) falsche Ansichten, die man mit der zornigen Entschiedenheit & Impulsivität, die zu Saramagos Charakter immer gehörte, allerdings »leichter« (will sagen weniger justiziabel) im Internet äußern kann - als in der Printwelt.

Skandalös aber war seine im Tagebuch gleich mehrfach geäußerte vorbehaltlose Sympathie für die Palästinenser & die in Gaza herrschende fundamentalistische Hamas als unschuldige Opfer der »völkermörderischen« Israelis, denen Saramagos rücksichtsloser Hass galt. So sehr hat er sich in ihn hineingesteigert, dass er die letzte seiner Tiraden in der Schmähung gipfeln lässt, die Israelis hätten als »Schüler in mancher Hinsicht ihre Lehrmeister überholt«, wobei als deren »Lehrmeister« jene angesprochen sind, »die ihre Vorfahren folterten, vergasten und verbrannten«: also die nazistischen Deutschen.

Offenbar etwas irritiert von der Resonanz auf seine Äußerungen, versuchte der bloggenden Wüterich, den Vorwurf seines verdeckten Antisemitismus zu entkräften, indem er zum einen sich gegen die drakonische Sexualmoral in Saudi-Arabien und in Pakistan erklärt, zum anderen auf die von ihm als Lektor betreute portugiesische Edition einer Holocaust-Untersuchung am Beispiel Adolf Eichmanns verweist und seine Israel-Kritik als »moralische« definiert.

Er begreift jedoch nicht, dass er von den Israelis, weil ihre jüdischen Vorfahren »unsagbares Leid« im Laufe der Geschichte erfahren hätten, ein außergewöhnliches moralisches Verhalten im Umgang mit ihren Feinden verlangt und darüber hinaus »einzusehen, dass es Gründe gibt, die einen Menschen dazu bringen, selbst zur Bombe zu werden« - wenn Saramago auch solche islamystische Handlungsweisen «scheußlich, ja ohne Zweifel verdammenswert» findet. Offenbar sind sie ihm aber entschuldbarer und verständlicher als die Handlungen der »völkermörderischen« Israelis.

Nun ja: »Auch der Hass gegen die Niedrigkeit / verzerrt die Züge. / Auch der Zorn über das Unrecht / Macht die Stimme heiser« (Brecht). Umberto Eco ist seinem portugiesischen Freund in seinem Vorwort zur Seite gesprungen, indem er konstatiert, die mehrfachen literarischen Handkantenschläge, Leberhaken und Arschtritte des »zornigen Wüterichs« gegen Gott, seine Stellvertreter & den Rest der Weltmächte seien vorläufige und notwendige »Erfahrungen mit der Welt, wie sie leider ist«, die der Schriftsteller machen müsse, um sie später episch verarbeiten zu können.

In einem Fall scheint aber eher Saramagos Fiktion  rückgewirkt zu haben auf seine Erfahrungen mit der Welt - als er nämlich für die gerade in Barcelona »an Kummer und verschiedenen Krankheiten« zugrunde gehende Elefantenkuh »Susi« verlangt, ihr »einen würdigen Lebensabend zu bereiten«, indem man sie an einen Platz bringt, an dem sie nicht mehr ihre »empfindlichen Füße, die vielleicht noch immer den weichen Boden der Savanne in Erinnerung haben«, der Tortur des »höllischen Zementbodens« aussetzen muss.

Dieser Blog-Eintrag schlägt unausgesprochen den Bogen zu Saramagos Die Reise des Elefanten. Es waren aber historische Holzschnitzereien in dem Salzburger Restaurant »Der Elefant«, die den dort nach einem Vortrag bewirteten Autor neugierig gemacht hatten, weil er u.a. den Turm von Belém auf ihnen erkannte.

Er erfuhr, dass damit der Reise eines Elefanten im Jahre 1551 von Lissabon nach Wien gedacht wurde; und nachdem die Portugiesisch-Lektorin der Universität Salzburg, die ihn dorthin eingeladen hatte, ihm die nötigen historischen Hintergrundinformationen des kulturgeschichtlich gut dokumentierten Ereignisses beschafft hatte, machte sich der Romancier an seinen letzten zu seinen Lebzeiten publizierten Roman.

Ähnlich wie Beethoven sein gewaltiges Oeuvre mit dem jokosen Streichquartett op. 135 oder Verdi sein tragisch-dramatisches Opernschaffen mit der »Fallstaff«-Komödie abschloss, lässt auch der portugiesische Romancier, der düster-pessimistische Parabeln liebte, sein episches Werk mit einem komischen Kehraus enden, der literarisch etwas von der übermütigen musikalischen Buffonerie einer Offenbachschen Operette besitzt.

Indischer Elefant im Dienste der Gegenreformation

Denn sichtlich mit Spielvergnügen inszeniert Saramago seine Erzählung in den Kulissen seines historischen Sujets, das er immer wieder durch anachronistische Abschweifungen & Kommentare mit einer voltaireschen Ironie auflädt, die vor allem der lustvollen Denunziation christkatholischer Glaubenspropaganda dient. Das bietet sich geradezu historisch an, weil das elefantöse Geschenk des lächerlichen portugiesischen Königspaars als ebenso  einschüchterndes wie begeisterndes Exotikum durch ein katholisches Europa zieht und sogar auf dem Tridentiner Konzil Station macht, nachdem der indische Elefant vor der Kathedrale von Padua, wo der in Portugal geborene Heilige Antonius verehrt wird, scheinbar spontan & wundersam in die Knie ging. Natürlich hat das Tier sein Mahout dazu gezwungen, der wiederum als indischer Elefantenführer von einem Priester in Padua zu dieser Glaubens-Zirkus-Nummer mit einschüchternden Drohungen gedrängt worden war. Gerade war Luther gestorben & die katholische Gegenreformation sucht, findet & erfindet jedes Mittel, um mit spektakulären Wundern die irritierten Gläubigen zu becircen.

Aber der ursprünglich wie der jüdische König »Salomon« genannte, von den Österreichern jedoch in »Soliman« - den Namen ihres Erzfeindes, des gleichnamigen türkischen Sultans - umgetaufte gutmütige Dickhäuter und sein menschlicher Führer, den die Habsburger einfach »Fritz« nennen, sind ein liebenswertes Paar, dem vor allem Saramagos Sympathie gilt. Der bärbeißige Portugiese erlaubt sich sogar rührende Momente, in denen die grundsätzliche Fremde zwischen Mensch & Tier aufgehoben scheint - wenn sich Salomon an der Portugiesischen Grenze von einigen seiner zahlreichen militärischen Begleiter mit seinem Rüssel verabschiedet, dessen Spitze er zärtlich in ihre Hand legt oder wenn er mit dem Rüssel liebkosend über Kopf und Schulter eines anderen Mannes streicht, der bei der Trennung in heftiges Schluchzen ausgebrochen war.

Sicher: die Dichte & Brillanz früherer (historischer) Romane - wie Das Memorial - oder die Schlüssigkeit seiner erzählerischen Parabeln (wie z.B. der Stadt der Blinden) besitzt Die Reise des Elefanten nicht. Aber man spürt sehr oft - gerade jetzt im Augenblick des endgültigen Abschieds von dem großen portugiesischen Literaturnobelpreisträger -, dass es ihm nach seiner ersten Todeserfahrung 2007 und nach seiner Rückkehr ins Leben einen Heidenspaß gemacht hat, anhand dieser zufällig ihm zugefallenen historischen Anekdote, noch einmal seine lebenslange Respektlosigkeit gegen Gott und die Welt, Dummheit und Glauben, Macht und Gewalt zu einem Abschiedstänzchen ausführen zu können. Gern schaut man dem alten Herrn mit Respekt & auch ein wenig Rührung dabei zu.

 

José Saramago
Das Tagebuch.
Mit einem Vorwort von Umberto Eco.
Aus dem Portugiesischen von Marianne Gareis und Karin von Schweder-Schreiner.
Hoffmann und Campe 2010
206 Seiten
16,00 Euro.

Leseprobe

José Saramago
Die Reise des Elefanten
Roman.
Aus dem Portugiesischen von Marianne Gareis.
Hoffmann und Campe 2010.
237 Seiten. 19,95 Euro.

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