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Glanz&Elend Magazin für Literatur und Zeitkritik

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Seitwert


Gegen die Zeit, Gegenzeit

Antonio Tabucchis kurze Erzählungen mit mittellangem Nachhall.


Von Christiane Pöhlmann


In diesem Frühling erlebte das Wort "Entschleunigung" eine neue Blütezeit. Doch sosehr im Nachklang des Vulkanausbruchs und des lahmgelegten Flugverkehrs das slow life heraufbeschworen wurde, am Ende siegte – natürlich und sehr rasch – das alte Schneller, Höher, Weiter.

Antonio Tabucchi, 1943 geboren, ist alles andere als ein Viel- oder Schnellschreiber. Drei Jahre sind seit seiner letzten Veröffentlichung in Italien vergangen, einem Band mit Zeitungsartikeln (L'oca al passo, 2006), bevor im vergangenen Jahr die Erzählsammlung Il tempo invecchia in fretta erschien, die nun auch auf Deutsch vorliegt.

Die neun Storys haben bis auf die erste nur oder auch einen männlichen Protagonisten, meist zwischen 50 und 60, manchmal auch älter. Das Alter gibt das Thema vor: Rückblicke auf die Vergangenheit, das eigene Leben, Fehler und Entscheidungen, vertane Chancen. Retrospektive und Introspektion. Es sind sehr stille und sehr langsame Geschichten, die eine schmerzerfüllte Atmosphäre verströmen. Die erzählt werden, um zu verhindern, dass eine "Geschichte von der Nacht verschluckt wird".

Und da gäbe es einiges, was die Nacht verschlucken könnte: persönliche Kränkungen, Uranverstrahlungen, politische Zensur, Bespitzelung und Folter. In einer Geschichte trägt die Nacht beinahe den Sieg davon, als ein dementer Rumäne im israelischen Exil Jerusalem für Bukarest hält – doch vielleicht wird für diesen Mann gerade dadurch die Nacht zum Tag. Insgesamt nimmt Tabucchi ein politisches Anliegen jedoch weitgehend zurück, um allgemeineren, zwischenmenschlichen und moralischen Parametern nachzuspüren. Wenn überhaupt, plädiert er für den Zweifel, indem er die vermeintlich verbindlichen Werte und Ansichten, auf die sich die postkommunistische Weltgemeinschaft verständigt zu haben scheint, in Frage stellt. Beispielsweise indem er den Mann, der Brecht bespitzelt hat, als Mann vorstellt, der von seiner Frau jahrelang betrogen wurde. Beispielsweise indem er den ungarischen Offizier und den russischen Militär, die sich 1956 feindlich gegenüberstanden, gemeinsam die "schönsten Tage" erleben lässt.

In ebendiesem Plädoyer und in der Art, wie es vorgetragen wird, liegt denn auch die Stärke dieser neun Erzählungen. Tabucchi hat, freiheraus, schon bessere Texte vorgelegt; gerade der erste, die einzige Geschichte mit einer Protagonistin, wirkt recht schwach, der letzte ist mit seinem Spiel um Realität und Fiktion nicht mehr als eine Fingerübung in Postmoderne. Obendrein mutet manch Gedanke über Vergänglichkeit oder Schönheit eines Augenblicks fast banal an. Doch dann kann nach der Lektüre etwas Seltsames passieren: Sobald man nämlich anfängt, darüber nachzudenken, warum die Storys nicht trivial oder kitschig wirken und atmosphärisch überzeugen, lässt man sich irgendwann noch einmal neu auf ihre Gedanken ein – und dann bekommen die Erzählungen ein ganz anderes Leben eingehaucht.

Damit machen die Texte wett, was sie rein literarisch nicht leisten. Die neun Erzählungen, die alles andere als hermetisch sind, vertrauen auf eine Leserschaft, der die Werte der Aufklärung nicht verloren gegangen sind. Sie sind keine Medizin, sondern Stimulus. Ohne beliebig zu werden, verweigern sie jede Antwort. Damit bleibt Tabucchis Plädoyer für den Zweifel, für eigenständiges Denken nicht den (Gerichts)Schranken seiner Texte vorbehalten, sondern wird zum konstituierenden, lebendigen Kern der Storys – die formal vielleicht besser als Dialoge rubriziert wären.

So ist es am Ende weniger die Bild- als vielmehr die Gedankenwelt der Texte, die nachhallt. Und einmal mehr die Erkenntnis, dass entschleunigte Erzählungen wahrlich nicht beschaulich sein müssen.
 

Antonio Tabucchi
Die Zeit altert schnell
Erzählungen
Aus dem Italienischen von Karin Fleischanderl
Hanser, München 2010.
170 Seiten
€ 16,90

Leseprobe


 


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