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 Glanz&Elend Literatur und Zeitkritik



Petits riens (42)
Von Wolfram Schütte

    


© R. Reifenrath

Attention, mesdames! – Zum diesjährigen Frauentag ließen sich die Layouter (oder nur die  Layouterinnen?) der FR, die auf ihre mehr oder minder gelungenen Einfälle zur Gestaltung des Titelblatts der Tageszeitung stolz sind, eine ganze Galerie von Vulven auf grauem Grund einfallen.
Es sah aus, als habe Don Juan statt Hirschgeweihen die primären Geschlechtsmerkmale der von ihm erlegten Frauen da versammelt.
Kein Mensch, keine Organisation, Partei oder Religionsgemeinschaft hat sich über diese bewusste Provokation empört (bis auf FR-LeserInnen). Sie ist offenbar sang- & klanglos verpufft.
Nun bin ich mal gespannt, ob die FR auch am kommenden »Vatertag«, also zu »Himmelfahrt« so witzig sein will, wie sie es am Frauentag zu sein meinte.

                                     *

Dänischer Gulliver in Nordkorea – Es war nicht der 1. April, sondern bereits der 6.April, als der ehemalige China- & derzeitige Skandinavien-Korrespondent der SZ, Kai Strittmatter, die Leser der SZ auf eine Sensation einstimmte, die an diesem Abend in dem Spartensender ZDF info & in der ZDF-Mediathek unter dem Titel »Der Maulwurf« auf sie wartete. Unter dem ebenso kulinarisch vielversprechenden als auch de facto fälschlichen Titel »Mit den Waffen eines Kochs« berichtete der begeisterte Strittmatter von einer zweiteiligen Dokumentation. Sie offenbare, wie »auf aberwitzige Weise drei Dänen Nordkorea in die Falle locken«. Ein Zwischentitel in Halbfett lockte den skeptischen Leser zusätzlich in die Falle, die Strittmatter eingerichtet hatte, indem er rhetorisch fragte: »Kann das wahr sein?« & versicherte: »Vor der Ausstrahlung prüften die Sender ein Jahr lang die Fakten«. Wie ein Schlepper auf der Reeperbahn vor einem Liveshow-Lokal lockt der SZ-Redakteur die unschuldigen Leser zur Besichtigung des »Maulwurfs« aus Dänemark: »Wenn Sie in diesem Jahr nur einen Dokumentarfilm ansehen, dann lassen Sie es diesen hier sein«:

Ein krankheitsbedingt arbeitsloser Koch, ein ehemaliger Drogendealer & der dänische Dokumentarfilmer Mads Brügger, der wegen eines kritischen Films, den er in Nordkorea gedreht hatte, das Land nicht mehr betreten darf, fingieren einen Coup, um das Regime bloßzustellen. Der Kopenhagener Ex-Koch macht über 10 Jahre eine Maulwurfs-Karriere in Nordkoreas europäischen Freundschafts-Kreisen. Der unerkannte Spion gewinnt am Ende das Vertrauen des spanischen Chefs an der Spitze des europäischen Netzwerks der Nordkorea-Freundeskreise. Von ihm aufgefordert, Unternehmer zu rekrutieren, die trotz der UN-Sanktionen in der atomar aufgerüsteten Diktatur zu investieren willens sind, erfindet der glatzköpfige Koch einen smarten »Mr. James« & besetzt die Rolle des fingierten Multimillionärs mit einem ehemaligen Kopenhagener Drogendealer.

Die zwei tollkühnen Undercoveragenten reisen erst nach Spanien & dann nach Nordkorea, wo sie einen Vertrag unterschreiben, der ihnen den Bau einer Waffen-& Drogen-Fabrik unter einer Insel im afrikanischen Victoriasee durch Nordkoreaner zusichert.

Dieser »aberwitzigste Plot des Jahres« (Strittmatter) wird noch durch das unglaubliche Faktum übertroffen, dass er sich mit allen handelnden Personen & an allen Orten vor unseren Augen & Ohren abspielt, weil alles, von A bis Z, gefilmt wurde. Denn die »Waffen des Kochs« sind nicht, wie man erwarten könnte, Gewürze, sondern Kameraleute, die immer dabei & zur Stelle sind, um jeden seiner Winkelzüge in Tarragona, Pjöngjang oder Stockholm zu dokumentieren.

Oder doch eher,  um Strittmatter & allen nordischen Medien inklusive der BBC, von denen der SZ-Mann behauptet, sie hätten »nach eigener Auskunft  mehr als ein Jahr Fact-checking« betrieben, massenweise Sand in die Augen & Ohren zu streuen, damit die »atemberaubende Achterbahnfahrt« als Dokumentarfilm so funktioniert, dass »man den Mund vor Staunen gar nicht mehr zuklappen möchte«, Aber als Journalist sich sofort an den Computer setzt, um (unwillentlich?) auch noch der jubilierender Bote zu werden: für eine suggestiv inszenierte & raffiniert  montierte Fiktion & deren Verbreitung als »authentisches« Dokument eines  lebensgefährlichen Husarenritts mitten hinein ins Herz der Finsternis des Kim Jong-un Imperiums

Dabei hätten schon die im Film gegebenen Begründungen für die Kamerapräsenzen stutzig machen müssen & erst recht die Montagen mit Bildclips aus Nordkorea (die offenbar aus Mads Brüggers früherem Nordkoreafilm stammen). Man könnte z.B. auch die authentische (deshalb fixierte) Bild-Einstellung des klandestinen Ibiza-Strache-Videos mit den versatilen Einstellungen des »Maulwurfs« vergleichen. Die beiden dänischen Spione sollen sich jahrelang auf ein lebensgefährliches Spiel von Mäusen mit mörderischen Katzen eingelassen haben & ihnen bis zuletzt auf der Nase herumgetanzt haben? Just vor fun?

Interessant sind auch die beiden «umstrittenen« Figuren von ehemaligen Mitgliedern des (James-Bond-affinen) MI5- & der CIA, die zur Absicherung der scheinbaren Authentizität des Dargestellten herangezogen werden; oder die Figur des Spanischen Repräsentanten, der dem doch angeblich wildfremden Milliardär unaufgefordert vor Kamera & Mikrophon erklärt, wie das UN-Embargo gegen Nordkorea umgangen wird (was die CIA natürlich wohl längst weiß). Die Fabrik unter der Insel im Viktoriasee (hat der denn eine, zu welchem Staat gehörte sie?) ist doch eher als groteske »Räuberpistole« auf der literarischen Trivial-Ebene von «39 Steps« oder «SHE« anzusiedeln.

Man kann als Kenner der filmtechnischen Bedingtheiten gar nicht mit dem Wahrnehmen aller der bewusst lozierten Hints nachkommen, die der dänische Regisseur Mads Brügger geradezu inflationär im Film verstreut hat. Warum? Damit man den Wald vor lauter Bäumen nicht mehr sieht.

Denn das wahrhaft Geniale der drei dänischen Humoristen besteht darin, dass ihr »Maulwurf« einerseits seine faktische Bezweifelbarkeit jeweils umbiegt in die schlüssig erscheinende Anmutung von wahnwitziger Wahrheit, andererseits durch seine Form der Film sich jedem Kenner als Fälschung zu erkennen gibt & der Regisseur mit seinen Hints auf dieses subkutane  »Lesemodell« verweist. Um hoch zu greifen: der Satiriker Mads Brügger hat damit sein »Gullivers Travel« vorgelegt.

Und alle – alle Fernsehsender & Printmedien wie SZ & FAZ – sind darauf reingefallen & dem brillanten Parodisten Brügger auf den Leim oder in seine täuschend realistische Falle gegangen: weil sie sehen & hören wollten, was ihnen (wunschgemäß) dann präsentiert wurde. Der vielfach preisgekrönte Reporter Claas Relotius mit seinen »Spiegel«-Fechtereien ebenso wie Tom Kummer mit seinen fingierten Interviews sind Waisenknaben gegenüber diesem kolossalen Witz des Mads Brügger.

P.S. Besonders apart ist es, dass der Lobhudler Strittmatter in aller Unschuld des Film-Ignoranten die gerade laufende Debatte »wegen der gefakten NDR-Doku >Lovemobil<« erwähnt & dagegen auftrumpfend »die Authentizität von Dokumentationen« wie »Der Maulwurf« hervorhebt.

Artikel online seit 12.04.21
 

»Petits riens«,
nach dem Titel eines verloren gegangenen Balletts, zu dem der junge Mozart einige pointierte Orchesterstücke schrieb, hat der Autor seit Jahren kleine Betrachtungen, verstreute Gedankensplitter, kurze Überlegungen zu Aktualitäten des
Augenblicks gesammelt. Es sind Glossen, die sowohl sein Aufmerken bezeugen wollen als auch wünschen, die
»Bonsai-Essays« könnten den Leser selbst zur gedanklichen Beschäftigung mit den Gegenständen dieser flüchtigen Momentaufnahmen anregen.
»
Kleine Nichtse« eben - Knirpse, aus denen vielleicht doch noch etwas werden kann. 

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