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Gier und Wahnsinn

Finanzblasen als spekulationsgeblähte Respiratoren einer absterbenden Realökonomie

Von Karim Akerma

In seinem 2006 erschienenen Buch „Der Crash kommt. Die neue Weltwirtschaftskrise und wie Sie sich darauf vorbereiten“, sagte Max Otte für die nächsten vier Jahre das Eintreten eines gewaltigen Finanzkrachs voraus. Mit „Gier und Wahnsinn“ führt er in die Vergangenheit, indem er uns die seiner Ansicht nach wichtigsten Klassiker zum Spekulationsfieber vorstellt, unter dem einige europäische Länder etwa von der Mitte des 17. bis in die ersten Jahrzehnte des 18. Jahrhunderts litten. Es handelt sich um Charles Mackays (1814–1889) Text „Außerordentliche Verwirrungen und der Wahn der Massen“ von 1841 sowie um Joseph de la Vegas (1650–1692) „Verwirrung, List und Spekulation an der Amsterdamer Börse von 1688“. Otte hat diese beiden Abhandlungen ausgewählt und mit einer Einleitung versehen, um dem Leser zu demonstrieren, was er als Untertitel für seine Ausgabe gewählt hat: „Warum der Crash immer wieder kommt...“

Charles Mackay

Der Tulpenwahn in Holland 1634 – 1637, John Laws in Frankreich aufgezogenes großes Mississippi-Projekt 1719 – 1720 und die englische Südsee-Blase von 1720 sind die von Mackay behandelten Manien, deren letzte laut Otte gewisse Ähnlichkeiten mit der Technologieblase 1997 – 2000 aufweist.

Heute noch, so Mackay 1841, seien die Niederländer berühmt für ihre Liebe zu den erst Mitte des 16. Jahrhunderts nach Westeuropa gelangten Tulpen. Eine Liebe, die der niederländischen Wirtschaft schweren Schaden zufügen sollte: Galt es zunächst nur als Zeichen schlechten Geschmacks, wenn ein Wohlhabender keine Tulpensammlung aufweisen konnte, so hatten im Jahr 1634 Niederländer aller Bevölkerungsschichten ihr Interesse an der realen Wirtschaft verloren und spekulierten lieber auf steigende und fallende Tulpenkurse. Der Handel mit Tulpenzwiebeln wurde derart komplex, dass Schreiber und Notare ernannt wurden, die sich ausschließlich mit Tulpentransaktionen befassten.

Urheber des großen Mississippi-Projekts in Frankreich ist der 1671 in Edinburgh geborere John Law, der sich dem nach dem Tode Ludwig XIV. regierenden Herzog von Orleans anbot, die zerrütteten Staatsfinanzen in Ordnung zu bringen. Law überzeugte den Regenten davon, Metallgeld zugunsten von Papiergeld aufzugeben und eine Gesellschaft mit Monopol auf den Handel mit der Provinz Louisiana zu gründen, wo man reiche Edelmetallvorkommen vermutete (!). Bald schon träumten Arm und Reich von unermesslichem Reichtum, kauften und veräußerten Aktien der Gesellschaft. John Law wurde zur bedeutendsten Persönlichkeit Frankreichs. Manch einer, so lesen wir bei Mackay, stieg morgens arm aus dem Bett, und ging abends als gemachter Mann schlafen. Nachdem die Aktienwerte gefallen waren, zwangsrekrutierte man 6000 Arme, um sie nach New Orleans und von dort aus in die angeblich so zahlreichen Goldminen zu schicken. Dem 1729 in ärmlichen Verhältnissen in Venedig verstorbenen John Law widmete man den Nachruf: „Hier ruht der berühmte Schotte, dieser unvergleichliche Rechner, der nach den Regeln der Algebra Frankreich ruiniert hat.“ (S. 69, Anm. 39)

Ebenfalls zur Sanierung der Staatsfinanzen wurde die South-Sea Company von Robert Haley ins Leben gerufen und von Kaufleuten im Jahr 1711 gegründet – ausgestattet mit einem Monopol für den Handel mit den Südseeterritorien. Da alle Welt von den Gold- und Silberminen Perus und Mexikos gehört hatte, erging man sich auch hier in Träumereien über phantastische Reichtümer, die von den englischen Kaufleuten nur abzuholen seien. Mackay schildert beredt die „hysterische Gier“, in die sich Menschen aller Schichten hineinsteigerten und führt aus: „Zur gleichen Zeit schossen überall Aktiengesellschaften aus dem Boden, für die rasch die treffende Bezeichnung Bubbles geprägt wurde. [...] Einige dieser Spekulationsblasen blähten sich ein oder zwei Wochen auf, bevor sie platzten und sich in Luft auflösten...“ (S. 78) Eine dieser Gesellschaften wollte ein Perpetuum mobile bauen, jemand anders gründete „eine Gesellschaft zur Durchführung einer sehr vorteilhaften Unternehmung, von der jedoch niemand wissen darf, worin sie besteht.“ (S. 79) Statt sich mit den langsam aber stetig wachsenden Erträgen aus beharrlicher Arbeit zufriedenzugeben, so Mackay, habe eine illusorische Aussicht auf grenzenlosen zukünftigen Reichtum den Menschen jegliches vernünftige Maß geraubt. Doch könne sich eine Nation ebenso wenig wie der Einzelne ungestraft dem Glücksspiel widmen, ohne früher oder später dafür büßen zu müssen. Spätestens an dieser Stelle sieht man die von Otte hergestellten Bezüge zu unserer Gegenwart bestätigt. Kein gutes Licht auf die Idee vom geschichtlichen Fortschritt werfen Mackays Ausführungen zur „Schuldfrage“. Verantwortlich dafür, dass das Land an den Rand des Ruins gebracht wurde, seien nicht nur die Direktoren der Südsee-Kompanie: „Niemand schien auf den Gedanken zu kommen, dass die Nation ebenso schuldig war. Niemand warf dem Volk seine Leichtgläubigkeit, seine Habgier oder seine würdelose Gewinnsucht vor...“ (S. 96). Erhebt man die letztgenannten drei Attribute zu überzeitlichen Konstanten, so ergibt sich der Untertitel von „Gier und Wahnsinn“.

Joseph de la Vega

Der Herausgeber tat gut daran, de la Vegas anderthalb Jahrhunderte früher verfassten Dialog zwischen einem Philosophen, einem Aktionär und einem Kaufman dem Text Mackays nachzustellen. Er ist ungleich schwerer verständlich und sehr viel weniger unterhaltsam. Und dies in einem Ausmaß, dass er mit einem eigenen, aus dem Jahr 1957 stammendem, Vorwort, von Hermann Kellenbenz, versehen wurde: „Joseph de la Vega und die Amsterdamer Börse im 17. Jahrhundert“ (S. 113-133). Hier erfahren wir, dass es in de la Vegas Abhandlung wesentlich um eine einzige Aktie geht, nämlich diejenige der Niederländischen Ostindien-Kompanie und dass die damals entwickelten Verfahren und Kunstgriffe bis heute kaum verbessert werden konnten. Der Philosoph beginnt den Dialog, indem er bekennt, nicht zu begreifen, was an der Börse eigentlich vor sich gehe. De la Vega lässt den Aktionär erläutern: „Auf die Börse macht die Erwartung eines Ereignisses einen sehr viel tieferen Eindruck als das Ereignis selbst.“ (S. 152) – Wohl nicht zuletzt vor diesem Hintergrund schreibt Otte in seiner Gesamteinleitung, das Verhalten an den Börsen im Frühkapitalismus unterscheide sich nicht wesentlich vom gegenwärtigen.

Ziehen wir zum besseren Verständnis der von Mackay und de la Vega beschriebenen Phänomene Werner Sombarts „Der moderne Kapitalismus“ herbei, so führte das damalige hitzige Spekulationsfieber, führten die „börsenmäßig organisierten Differenzspiele“ – anders als im Hochkapitalismus – keine Hausseperiode herbei; sie bewirkten keine Ausweitung des Wirtschaftskörpers und blieben ohne Auswirkung auf den Gang des Wirtschaftslebens. Ein Strom von Gründerwillen sei genötigt gewesen, sich neben dem Bereich der Güterproduktion ein Bett zu graben. Auch hier ein gemeinsamer Nenner der von Mackay und de la Vega beschriebenen frühkapitalistischen Zustände einerseits und des Spätkapitalismus unserer Tage andererseits, in dem die Finanzblasen als die Respiratoren einer absterbenden Realökonomie wirken. Allein diese Parallele zwischen Früh- und Spätkapitalismus vorgeführt zu bekommen, verlohnt die Lektüre.
 

Charles Mackay / Joseph de la Vega
Gier und Wahnsinn
Hrsg. Von Max Otte
FinanzBuch Verlag, München
ISBN 978—89879-560-9
203 Seiten


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