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Madame Tussaud in Worpswede Moritz Rinkes Romandebüt »Der Mann, der durch das Jahrhundert fiel« Von Christiane Pöhlmann Welchen Reiz hat ein Wachsfigurenkabinett? Den, die Realität möglichst genau in Wachs nachzubilden? Will es ein Who is Who aus knetbarem Material sein? Seinen Besuchern und Besucherinnen vorgaukeln, mit den Großen der Vergangenheit, mehr aber noch mit den Celebrities des Hier und Heute auf Du und Du zu stehen? Moritz Rinke, 1967 in Worpswede geboren, schafft in seinem Romandebüt "Der Mann, der durch das Jahrhundert fiel" in gewisser Weise ein solches Wachsfigurenkabinett, nur dass die Figuren aus Bronze sind, Werke von Paul Kück, Großvater des Protagonisten, Worpsweder Bildhauer und "Rodin des Nordens". Wenn sein Enkel Paul, inzwischen fünfunddreißig Jahre alt und glückloser Galerist in Berlin, durch den Skulpturengarten des Familienguts streift, passieren sie noch einmal alle Revue, Napoleon ebenso wie Lübke und Brandt, Max Schmeling und Ringo Starr. Ergänzt wird die Galerie durch Erinnerungen an Personen, die mit Worpswede oder dem Kück'schen Haus verbunden sind, so dass auch Rilke, Fritz Mackensen, Heinrich Vogeler und Paula Modersohn-Becker nicht fehlen, ja, sogar die Geschwister Scholl schaffen es in den erlauchten Kreis. All das wird von Rinke mit sicherem Blick fürs Anekdotische zusammengetragen und mit einigen lokalen Käuzen angereichert. Wer die Parade historischer Persönlichkeiten abnehmen möchte, kommt durchaus auf seine Kosten. Und wer schon immer mal (wieder) den norddeutschen langsamen Tonfall hören wollte, ist hier ebenfalls gut bedient. Hätte Rinke seinen Roman als landeskundliches Brevier etikettiert, wäre also alles bestens. Dann wäre ein kurzweiliger Text zu goutieren, der zwar weder fulminant komisch noch sonderlich informativ ist, aber fast durchgängig sehr gefällig daherkommt. Er hat sein Werk jedoch als Roman kategorisiert und komponiert – und sich selbst damit ein Bein gestellt. Was für ein Brevier ausreicht, wird einem Roman zum Verhängnis: gefällig daherzukommen. Richtig ärgerlich wird es dann, wenn die Leserschaft auch noch für dumm verkauft wird. Doch der Reihe nach! Paul erhält von seiner auf Lanzarote lebenden Mutter den Auftrag, sich um den Familienbesitz in Worpswede zu kümmern, da das Haus drohe, ins Moor abzusinken. Er bricht prompt zu seinem Heimatort auf. Man ahnt es schon: Der Grundbruch des Hauses ist ebenso symbolträchtig wie die braune Farbe des Moores. Aber ein paar platte Metaphern ließen sich ja noch wegstecken. Doch nun wird Pauls verstorbener Großvater eingeführt. In der Erinnerung des Enkels schießt der Alte mit einem Gewehr auf Maulwürfe; er nennt sie "Volksschädlinge", Pauls (vermeintlicher) Vater korrigiert ihn und meint, es müsse "Agrarschädlinge" heißen. Gut, damals war Paul noch ein kleiner Junge, und ja, Liebe macht blind. Er muss also keine faschistische Vergangenheit assoziieren. Aber an die Beerdigung des Opas 1978 erinnert er sich gut, und bei der gab es wegen einer Medaille, die Hitler dem Großvater anlässlich der Kunstausstellung 1939 verliehen hat, Aufruhr. Gut, auch das darf er noch verdrängen – aber muss er wirklich völlig aus dem Mustopf kommen, als sich 2003 herausstellt, dass sein Großvater Nazigrößen modelliert hat? Und muss die Leserschaft da mit? Damit ist eines der kompositorischen Grundprobleme des Romans angesprochen: Die meisten Figuren sind nämlich lediglich in einzelnen Szenen überzeugend (also wachsfigurentauglich), nicht aber als Typen oder Individuen (also romantauglich). Sobald man aufhört, sie ausschließlich episodisch wahrzunehmen, fallen Widersprüche, Unsinnigkeiten, Redundanzen, aber auch loose ends ins Auge. Die latente Oberflächlichkeit seines Romans toppt Rinke dann noch mit einigen Sätzen, die er den Figuren in den inneren Monolog legt. Als jemand in der Vergangenheit von Pauls Opa stochert, fragt der sich, ob dieser Mann überhaupt das Recht habe, "sich auf Kosten seines Großvaters zu profilieren, indem er mit einem einzigen spitzen Detail in ein vielschichtiges Leben stach?" Damit stellt er einen universellen Persilschein aus. Ein paar Seiten später nervt es Paul dann doch, dass Probleme in diesem Landstrich stets "weggeschnäuzt" werden. Wenn Leute etwas erfahren wollten, "dann mussten sie graben und graben und zu graben aufhören, wenn sie es nicht mehr ertragen konnten und ihr Leben ohne die Wahrheit für ruhiger und sicherer hielten." Das ist der Ratgeber "Schöner leben" pur. Aber weiter im Text: Der behauptet, dass alle, die ihre Vergangenheit entweder ausgraben oder sie nach langer Konservierung endlich im Moor entsorgen, plötzlich akute Gesundheitsprobleme kriegen (und eventuell sterben), im Koma liegen (und sehr wahrscheinlich sterben) oder Haus und Aufgabe verlieren (und irgendwie lebend sterben). Also bloß nicht am Status quo rühren – wie auch immer der aussehen mag. Sicher, ein wenig Empörung darf man sich gönnen, und sei es die über das "Wegschnäuzen". Anschließend möge man jedoch das Taschentuch herausholen, sich schnäuzen und vergessen, dass es eine braune Vergangenheit, Vergewaltigung und einen Mord in der Familie gegeben hat.
Genauso schnell sind dann
allerdings auch Paul & Co. vergessen. Ganz ohne Taschentuch. Ein
Wachsfigurenkabinett macht eben längst noch keinen Roman. |
Moritz Rinke |
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