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Ein Kleinod

Gregor Keuschnig über Nina Jäckles radikale, reduktionistische Erzählung »Nai«

Unschwer zu erkennen: Nai ist ein Annagramm aus den drei verschiedenen Buchstaben des Vornamens von Nina Jäckle. Aber ist der Junge Nai deshalb das (männliche? kindliche?) Alter Ego der Autorin?
Eine Figur Nai, ohne Biografie, erzählend in einer naiv-infantil anmutenden Sprache, will ein sehr meisterhaftes Abenteuer erleben. Zu diesem Zweck trägt er sogar im Bett wacker Schuh über Strumpf, hat die Schleifen gebunden und bleibt – stets einsatzbereit - im aufrechten Stand. Aber wer ist Nai? Ein Kobold? Dafür spricht vielleicht die angedeutete Kleinheit, der kaum vorhandene Hals. Ein Schwachsinniger, der Stimmen hört und sich in mehrere Personen (Naizwei, Naidrei) aufspaltet? Und die Gedanken kommen und die Gedanken gehen. Das ist so im Kopf heißt es zu Beginn. Oder eine Mischung aus Lewitscharoffs Pong (der jedoch viel welthaltiger wirkte) und Kaspar Hauser? Nai trägt auch vor, thematisiert immer wieder in der Erzählung die Erzählung (genau an dieser Stelle ist nun die Seite vierzehn erreicht), spricht den Leser an, verfällt immer wieder in einen Singsang wenn das Abenteuer bedrohlich wird (Fernsein heißt Fremdsein, heißt Wogehtslang heißt Angstundbang) und am Ende in einen Monolog, der es irgendwann vorzieht, ein innerer Monolog zu sein, und davon hört man nichts, und zwar (Achtung!) soweit das Auge reicht. (Das Buch ist voll von solchen paradoxen Vergleichen.)

Nai ist "geworfen" in eine beckettsche leere Welt, die erst im Laufe der Erzählung ein wenig aufgefüllt wird, letztlich aber immer nur Kulisse bleibt. Plötzlich ist er kniehoch im Fluss, ohne dass ersichtlich wird, wie dies gekommen ist. Er kommt an ein Ufer und dort wohnt in einem Haus ein Mann mit Fernglas und Gewehr und versteckt sich aus Angst, erschossen zu werden. Nais Begreifen von Welt erfolgt auf dem Prinzip des Memorierens, ähnlich dem Spiel Koffer packen. Dabei wird ein neuer Eindruck den bereits bestehenden Eindrücken hinzugefügt und entsprechend repetiert: Auch ein Fakt ist das Fernglas, das der Mann, dem das Haus gehört, an seinem Fenster positioniert hat. Das Fernglas steht dort, wo der Mann, dem das Haus gehört, das Fernglas gut brauchen kann. Der Mann also, dem das Haus gehört, ist auch der Mann, dem das Fernglas gehört, und er ist auch der Mann dem der Landstrich gehört, und er ist auch der Mann, dem das Gewehr gehört.

Dieser drollig-manieristisch anmutende Tonfall wird im gesamten Buch beibehalten. Martin Lüdke erkannte bereits in Nina Jäckles "Noll" (2004) den bewussten Verzicht der "sinnliche[n] Präsenz der Außenwelt zugunsten einer schärferen Konturierung der Innenwelt". Dieses Verfahren hat die Autorin in "Nai" noch weiter vorangetrieben. Dabei durchlebt Nai durchaus mehrere Etappen eines "Abenteuers" und es herrscht beileibe keine Handlungsarmut: Zunächst geht und geht er, sieht sich nicht weiter um, das ist von Vorteil, dann reitet auf einem Pferd, macht Bekanntschaft mit einer allerschönsten Frau, die von ihm sein Schuhwerk fordert und deren Angebot, sie zu entführen und zum wahren Helden aufzusteigen, er trotz einiger Verlockungen ablehnt, was dazu führt, dass man sich wieder trennt (die Frau wird somit zur allerschönste[n] Verlassene[n]), imaginiert sich in einer Art Fest (es dampft die größte Paella der Welt am Rande des Geschehens), kommt in die Nähe eines Fängers, der nun mit Nais Kopf das Geld zu jagen gedenkt nur um dann am Ende doch irgendwie aus einem Traum aufzuwachen. Oder war es doch kein Traum? Obwohl jetzt die Stimme und alle anderen Nais verschwunden sind.
Glaubt man anfangs das noch nicht einmal 90 Seiten umfassende Büchlein bequem an einem Nachmittag lesen zu können, so zeigen sich erstaunlicherweise schnell Widerhaken. Man stellt irgendwann fest, dass dieser Duktus gar nicht so infantil ist (ähnlich der Erfahrung, wenn man Kindern einmal genau zuhört). Der erste Eindruck einer eher zu leichten, eingängigen Sendung-mit-der-Maus-Sprache, weicht durchaus Reflexionskaskaden beim Leser.
Und je mehr man liest, um so williger, ja fast sehnsüchtiger sucht man nach Allegorien und Metaphern, was entweder ein Zeichen der Überforderung des Lesers ist oder ein Trick der Autorin, um einer Geschichte einen doppelten Boden anzukleben. Manchmal kann so etwas ja wunderbar miteinander verschmelzen, im Idealfall so dezent wie das geübte Entkorken einer Weinflasche. Hier gelingt dies nicht ganz. Einerseits wird die Phantasie des Lesers angeregt, der Figur Nai, seinem Abenteuer und den (meist eher feindselig gesonnenen) Protagonisten eine über die Erzählung hinausgehende Bedeutung zu verleihen. Da bietet sich eine Parabel auf das Menschsein und das Leben an. Aber nicht alle Menschen sind diese radikalen, leicht vergnügungssüchtigen Einzelgänger (eigentlich ist es eher die Minderheit). Oder ist Nai vielleicht "nur" das repräsentative Produkt unseres modernen Individualismus? Aber andererseits: Wäre diese Interpretation nicht ein bisschen dürftig? Wozu soll also dieser fast radikale Reduktionismus führen, außer vielleicht auf die Konzentration auf das Wesentliche (und zur zwischenzeitlichen Erleichterung wider all die polyphonen und multiperspektivischen Romane)?  Gregor Keuschnig

Und so rätselt man weiter was wie so ist. Warum eigentlich nicht.

Die kursiv gesetzten Stellen sind Zitate aus dem besprochenen Buch.
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Nina Jäckle
Nai oder was wie so ist
Erzählung
Klöpfer & Meyer
92 Seiten, geb. mit Schutzumschlag und Lesebändchen
ISBN 978-3-940086-44-0
€ [D] 14,90 / [A] 15,40 / sfr 26,5

 


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