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Sie wissen nicht, was sie tun?

Wie die internationalen Truppen in Afghanistan mit ihren lokalen Kooperationen den islamischen Fundamentalismus am Hindukusch fördern und die Bevölkerung Afghanistans in die Hände der Taliban treiben.

Von Thomas Hummitzsch

Erneut steht die Bundeswehr in Afghanistan in der Kritik. Bei Gefechten mit den »Taliban« am Karfreitag erschossen deutsche Soldaten »versehentlich« fünf afghanische Armeeangehörige. Nach den dramatischen Ereignissen in Kunduz am 4. September 2009, bei denen auch drei deutsche Soldaten getötet worden sind, stellt sich wieder die Frage, wie es zu einem solchen Vorfall hatte kommen können.
Eine mögliche, wenn auch unbequeme Antwort auf diese Frage erhält, wer Marc Thörners eben erschienenes Buch Afghanistan-Code. Eine Reportage über Krieg, Fundamentalismus und Demokratie liest. Der deutsche Journalist, der sich bereits eingehend mit dem Irakfeldzug George W. Bushs auseinandergesetzt hat, beschreibt darin ausführlich die Unübersichtlichkeit der politischen, gesellschaftlichen und militärischen Realitäten in Afghanistan sowie die entschiedene Ratlosigkeit der internationalen Truppen am Hindukusch.
Unter permanentem Beschuss stehend, wissen deutsche, amerikanische oder britische Soldaten oft nicht mehr, wer Freund und wer Feind in Afghanistan ist. So antwortete dem deutschen Journalisten ein amerikanischer GI auf die Frage, wie sie denn bei Raketenangriffen auf das Lager reagieren würden, dass man grundsätzlich immer zurückschießen würde.
»Wohin? Da drüben soll Pakistan liegen.« Man schießt in Afghanistan offensichtlich in Richtungen, und nicht auf konkret ausgemachte Angreifer oder Kriegsgegner. Und offenbar haben auch die deutschen Soldaten nicht so genau gewußt, auf wen sie am Karfreitag eigentlich schossen? Führte der Streß und die Erfahrung, unter Beschuss zu liegen, dazu blindlings zurückzufeuern? Niemand weiß es so genau, die militärischen Untersuchungen laufen. Was auch immer bei den Inspektionen und Befehlskontrollen herauskommen wird – die allgegenwärtige Beklemmung ob der unübersichtlichen Lage in Afghanistan bleibt bestehen.

Die ausländischen Truppen in Afghanistan haben gehörig mit dazu beigetragen, dass die Lage derart verworren ist, lautet Thörners These. Denn wenn man den Feind vor lauter Menschen nicht sieht, und dies scheint in Afghanistan der Fall, gilt entweder das Prinzip der Kollektiv-Haft und die Masse ist der Feind oder aber man teilt die Masse in Freund und Feind auf. Letzteres ist ein altbewährtes Mittel in Bürgerkriegen und Guerillakämpfen, das schon die französische Armee in ihren Kolonialkämpfen angewandt hatte. Auch die Franzosen mussten in Ländern wie Algerien oder Marokko feststellen, dass mit der Niederschlagung von Rebellengruppen noch kein Krieg gewonnen oder eine Bevölkerung erobert war. Der lokale Widerstand gegen die Besetzer war viel tiefer verwurzelt. Und auch in Afghanistan spricht viel dafür, dass dies so ist.

Wie geht man in einem solchen Fall vor? Der französische Militär und Algerienveteran Roger Trinquier beschrieb in seinem Werk La Guerre Moderne (dt. Der Moderne Krieg) die Strategie der Franzosen in Algerien. Die französischen Besatzer suchten sich lokale und traditionelle Autoritäten, die sie als ihre Stellvertreter beim zivilen und politischen Wiederaufbau einsetzten. Diese sollten dann die Herzen der Bevölkerung erringen und diejenigen, die mit ihnen kooperierten, belohnen. Stück für Stück sollte so in der Bevölkerung der Gedanke entstehen, dass Kooperation mit den Besatzern Fortschritt und Wohlstand, Widerstand und Kampf hingegen nur Not und Elend bringen würden. Soviel zur Theorie. In der Praxis haben die Franzosen den Algerienkrieg verloren und politische Aufbauarbeit für die Extremisten geleistet.

Was in Algerien schon nicht funktioniert hat, soll nun aber in Afghanistan klappen. Denn am Hindukusch haben sich die internationalen Truppen mit ehemaligen Mudschaheddin, lokalen Warlords und regionalen Kriegsfürsten wie dem usbekischen General Abdul Raschid Dostum, dem ehemaligen Muslimbruder Gulbuddin Hekmatyar oder dem wahabitischen Feldkommandeur Abdul Rasuf Sayyaf zusammengeschlossen. Von der Kooperation mit diesen Kriegstreibern, die neben den Taliban in skrupelloser Manier seit Jahrzehnten die afghanische Bevölkerung terrorisieren, versprechen sich die ausländischen Truppen, afghanische Teilregionen zu befrieden und von den Taliban zu befreien - theoretisch.

Praktisch geschieht jedoch das genaue Gegenteil. Die Kooperation mit den Kriegsherren, meist ehemalige Mudschahedin, befördert den religiösen Extremismus in Afghanistan und treibt den Taliban die Bevölkerung in die Arme. Mit dieser provokanten These wirft Marc Thörner unser bisheriges Bild des Afghanistaneinsatzes komplett um. Mit der Dokumentation seiner Erlebnisse und Beobachtungen, die er zwischen Juni 2008 und November 2009 in Afghanistan als »eingebetteter« Journalist gemacht hat, unterstützt er diese These auf vielfältige Weise. Er zeigt, was es heißt, wenn Industrienationen in einem fremden Land einen ungleichen – neudeutsch asymmetrischen – Krieg inmitten einer Zivilbevölkerung kämpfen, in die sich Aufständische, Kriegsherren, Taliban, Clanchefs, Drogenbarone und religiöse Führer aus den verschiedensten politischen, ethnischen und religiösen Gruppen permanent zurückziehen.

Folgt man Thörners Argumentation, kommt man unweigerlich zu der Ansicht, dass in Afghanistan ein quasimafiöses Netzwerk, bestehend aus der ehemaligen Nordallianz, zahlreichen Mudschaheddin-Milizen und einigen andere lokalen und regionalen bewaffneten Gruppen, mit einer Carte blanche im Namen der internationalen Truppen und des Antiterrorkampfes agiert. Es entsteht der Eindruck, dass dieses Netzwerk machen kann, was es will, so lange es mit vereinten Kräften die Rückkehr der Taliban verhindert. Menschenrechte scheinen für die internationale Gemeinschaft kein Wert zu sein, nach dem man seine Kooperationspartner vor Ort auswählen könnte. Und so entwenden die Mitglieder dieses Zusammenschlusses radikaler Denker und skrupelloser Milizionäre den normalen Afghanen Ackerland und Weideflächen, verlangen Wegezölle, überfallen Siedlungen und Dörfer und ermorden willkürlich Menschen aus anderen religiösen und ethnischen Gruppen.

Zugleich sitzen diese Partner und deren Vasallen an den Schlüsselpositionen der afghanischen Gesellschaft, in Schulen, Moscheen, Polizeistationen und Gerichten, und ersticken so jede Strafverfolgung schon im Keim. Von diesen Positionen indoktrinieren sie die afghanische Bevölkerung mit ihrem radikalen, islamistischen Gedankengut, dass sie sich im saudi-arabischen Exil angeeignet haben. Die saudische Schule des Wahhabiya, einer konservativ-dogmatischen Auslegung des sunnitischen Islam hat längst traditionelle afghanische Werte verdrängt. Die Verfechter der wahabitischen Auslegung des Islam sind also keineswegs nur die verteufelten Taliban, sondern auch die treuen Partner des Westens. So gehören ausgerechnet die afghanischen Partner der internationalen Truppen zu den größten Verfechtern der Scharia. So entsteht in Afghanistan unter der Kuratel der internationalen Gemeinschaft ein neues Terrorregime. Derweil kümmern sich die internationalen Truppen stärker um ihre eigene Sicherheit, als um den Schutz der afghanischen Bevölkerung.

Darüber hinaus durchdringt der Kampfeinsatz Operation Enduring Freedom (OEF) unter der Führung der Amerikaner den ebenfalls von den USA geführten Einsatz zum zivil-militärischen Wiederaufbau der International Security Assistence Force (ISAF), an dem auch deutsche Soldaten beteiligt sind. ISAF-Einsätze können unter diesen Voraussetzungen schnell und unkompliziert zu einem OEF-Einsatz umgemünzt werden. Personen auf dem Weg ins Krankenhaus können dann schnell potentielle Attentäter werden, auf die man zwingend schießen muss. Ob es sich dabei dann stets um Selbstschutz handelt, darf bezweifelt werden.

Die Gemengelage aus dem Versagen der internationalen Truppen und ihrer gleichzeitig stattfindenden Zusammenarbeit mit den Kriegs- und Drogenbaronen Afghanistans führt zu enormen Frustrationen auf Seiten der afghanischen Bevölkerung und treibt sie so wieder in die Arme der Steinzeitislamisten. »Wenn ihnen die Taliban in dieser Lage Hilfe anbieten, nehmen Sie sie an?«, fragte Thörner den Anführer einer unterdrückte ethnischen Minderheit angesichts der Lokalherrschaft der Milizenführer. Die Antwort, die er daraufhin erhielt, macht das afghanische Dilemma deutlich: »Ich bin nicht gegen die ausländischen Truppen. Wenn die abziehen, wird alles nur noch schlimmer. Aber offen gesagt: ja.«

Marc Thörner liefert in seinem Buch weiteren Zündstoff für die deutsche Afghanistandebatte. Und eben deshalb muss es gelesen werden, von Politikern, Generälen und von deutschen »Normalbürgern«, die ihre Stimmen an die Mandatsträger im Bundestag vergeben. Um kluge Entscheidungen über das weitere Vorgehen in Afghanistan treffen zu können, brauchen wir Berichte, die in die Tiefe der afghanischen Realität vordringen. Afghanistan-Code von Marc Thörner ist ein solcher Bericht.
 

Marc Thörner
Afghanistan-Code
Eine Reportage über Krieg, Fundamentalismus und Demokratie
Nautilus-Verlag. Hamburg 2010
160 Seiten
16,- Euro
ISBN: 3894016078


 


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