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»Schönheit. Wahrheit. Eros. Tod. Krieg. Macht.

Gerechtigkeit. Freiheit. Arbeit. Glück.«

Die zehn wichtigsten Wörter unserer Kultur in einem Schuber
Franz Siepe über ein ambitioniertes Projekt als kulturpolitisches Pflichtprogramm und ein essayistisches Schaulaufen

Konrad Paul Liessmann ist Professor und Vizedekan an der Fakultät für Philosophie und Bildungswissenschaft der Universität Wien und seit 1996 wissenschaftlicher Leiter des Philosophicum Lech. Liessmann war 2006 immerhin „Wissenschaftler des Jahres". Und über die hier zu besprechende, von Liessmann herausgegebene Buchkassette mit dem Gesamttitel „Grundbegriffe der europäischen Geistesgeschichte" liest man in der Presseinformation der zuständigen PR-Agentur: „Schönheit. Wahrheit. Eros. Tod. Krieg. Macht. Gerechtigkeit. Freiheit. Arbeit. Glück. Diese wesentlichen Begriffe unserer abendländischen Kultur sind gleichsam das ideengeschichtliche Destillat der conditio humana." Wir dürfen wiederholen: „Unserer abendländischen Kultur"!

Hatte nun Liessmann in seiner völlig zu Recht vielbeachteten Streitschrift „Theorie der Unbildung. Die Irrtümer der Wissensgesellschaft" (2006) noch mit einiger Distanz auf Dietrich Schwanitz‘ „Bildung. Alles, was man wissen muß" geblickt („Auch bei Schwanitz regrediert Bildung zu jenem Gesellschaftsspiel ..."), so hat es jetzt fast den Anschein, als wolle Liessmann sich mit dem vorliegenden Projekt gerade auf jene beargwöhnte Bildungsschwundstufe begeben; vernimmt man doch (wieder Presseinformation): „Die tiefgreifende Beschäftigung mit den zugrunde liegenden Begriffen und Ideen ist nicht nur eine Schule des Denkens. Sie gibt auch starke Argumente in Diskussionen und Gesprächen an die Hand."
Das Paket ist wirklich verführerisch. Wen würde es denn nicht reizen, sich „die zehn wichtigsten Wörter der Welt" (so der Pressetext in eurozentristischer Nonchalance) von zehn wichtigen, will sagen professoralen Fachleuten erläutern zu lassen? Und das in Form „spannender und gut verständlicher Darstellungen", als „kurzweilige Pflichtlektüre für jeden an gesellschaftlichen und kulturellen Fragen interessierten Leser". Wer möchte sich da schon ausschließen, zumal die 1,5 Kilo Kulturvademekum problemlos transportabel sind und das Budget kaum mehr belasten als die Tankfüllung eines kleinen PKW?
In Wahrheit verhält es sich aber, viel schlichter, so: Der Wiener Verlag facultas.wuv ist einer der sogenannten Gesellschafterverlage von UTB. Ursprünglich wurden die zehn Bände „Grundbegriffe der europäischen Geistesgeschichte" von facultas.wuv unter der Herausgeberschaft Liessmanns für die Reihe UTB-Profile erarbeitet, die an den Lernbedürfnissen von Studenten ausgerichtet und dementsprechend didaktisch aufgebaut ist. Kurz nach dem Erscheinen der zehn Einzelbände bei UTB brachte der Wiener Partnerverlag sie – jeweils mit eigenem Cover – in dieser Kassette heraus und kann sie daher zu einem etwas günstigeren Preis anbieten.

Der Herausgeber hat sich in seiner Funktion als Autor das fraglos 'schönste' der zehn Themen ausgewählt: die „Schönheit". Liessmann stellt seine Einführung unter das Stendhalsche Motto von der Schönheit als Glücksversprechen und hebt schulmäßig an: „‚Schönheit‘ gehört zu den gleichermaßen umstrittenen wie unhintergehbaren Begriffen der europäischen Kultur. Es gibt kaum einen Bereich des Lebens, in dem Schönheit nicht eine zentrale Rolle spielte." Was dann folgt, ist ein philosophisch grundierter, eher bildungsbeflissen-fordernder denn leichtfüßig-tänzelnder Rundgang durch die Ideengeschichte, bei dem wir viele alte Bekannte (Plato, Plotin, Leonardo, Kant, Hegel, Freud oder Adorno) in nicht immer ganz neuem Gewande bei ihren Debatten über Natur-, Kunst- und Menschenschönheit antreffen. Am Ende jedoch überrascht Liessmann mit der Erkenntnis, das Postulat des Vorrangs der ominösen „inneren Werte" sei eine „christologisch [recte „christlich"?] fundierte Weisheit", die zusehends obsolet werde in einer Welt, „die einerseits am antiken Ideal der Kalokagathia [sog. Schöngutheit] festhält, aber das Strahlen der äußeren Schönheit nicht aus der Arbeit am moralischen Subjekt, sondern umgekehrt die moralische Qualität aus einem Erscheinungsbild ableitet, das zunehmend der Machbarkeit und damit der Verantwortung der Menschen zugewiesen wird."

Sind wir aber wirklich so dumm geworden, jemanden, der schön ist oder sich vermeintlich schön macht, deshalb schon für tugendhaft zu halten? Sind wir schon soweit, nicht mehr zwischen „attraktiv" und „moralisch gut" unterscheiden zu können? Das glaubt natürlich auch Liessmann nicht. Und freilich kannten die alten Griechen „innere Werte". Schon Demokrit hatte geschrieben: „Leibesschönheit ist etwas Tierisches, wenn nicht Verstand dabei ist."
Ins dem der Schönheit benachbarte Reich des Eros führt uns Alice Pechriggl, die ansonsten in Klagenfurt Philosophie lehrt und hier ebenfalls mit einer Überraschung aufwartet: „Es geht in dieser Begriffsgeschichte“, schreibt sie, „ausdrücklich um den Eros, nicht um die Liebe“. Die Autorin begründet diese Eingrenzung bzw. Ausgrenzung damit, daß die „Liebe“ „all jene Begriffe umfasst, von denen die Griechen den Eros relativ klar [sic] zu unterscheiden trachteten: agapê (Liebe, Nächstenliebe), philia (Freundschaft), philotês (Liebe, Freundschaft).“ Demgegenüber zeichne sich der Eros aus durch „seine Verbindung zu den aphrodisia, zum sexuellen, also körperlich-genitalen Begehren und Genießen – und zwar über die bloße Fortpflanzungssexualität hinaus.“ Was diese „Ausgangsthese“ aber „im tieferen Sinn zu bedeuten vermag“, das habe „in Anknüpfung an Platon erst Freud wirklich zu erschließen verstanden.“

Hierzu ist erstens anzumerken, daß die „Agape“ in der paganen griechischen Literatur so gut wie nicht existiert, so daß man sie – anders als die „inneren Werte“ – mit einigem Recht als christliches Eigengut bezeichnen kann. In Konkurrenz zum „Eros“ stand sie jedenfalls erst nach der Zeitenwende; und auch dieses Konkurrenzverhältnis ist nicht so simpel strukturiert, wie uns die Hochschulweisheit mitunter glauben machen will. Zweitens will nicht einleuchten, wieso die deutsche „Liebe“ mit „Agape“ semantisch enger verschwistert sein sollte als mit „Eros“. Kennen wir denn nicht gottlob das Liebesspiel auf dem Liebeslager in einer schönen Liebesnacht?
Überhaupt entsteht mehr und mehr der Eindruck, daß Alice Pechriggl mit dem Thema Eros ihre Schwierigkeiten hat. Wenn sie etwa meint, die frühchristliche/mittelalterliche Gepflogenheit der allegorischen Auslegung des Hohenliedes sei ein Beleg dafür, daß „im christlichen Imaginären [?] neben der Liebe zu Gott keine wahre Liebe zwischen den Menschen mehr Platz greifen sollte, schon gar keine erotisch-sexuelle“, ist das, sofern überhaupt verständlich, einfach falsch: „Liebt einander, wie ich euch geliebt habe“, spricht der Herr! (Joh 13, 34) Das wäre etwa nicht „wahre Liebe“?
Wenn man aber schon in – gegenwärtig völlig risikoloser – diffamatorischer Absicht die christliche „sexuelle Zwangsmoral“ geißelt, ergo, so der Umschlagstext von Pechriggls Buch, „die europäische Geschichte der ebenso bigotten wie grausamen Unterdrückung des Eros“ aufs Korn nimmt, sollte man doch zumindest ein wenig mit der einschlägigen Begrifflichkeit vertraut sein und z.B. die wollüstige Begierde, die zum offenkundigen Ärgernis der Autorin vom Christentum in der Tat nicht sonderlich hochgeschätzt wird, korrekterweise in der lateinischen concupiscentia und nicht in der, wie sie schreibt, „concupicientia“ wiederfinden. Auch in der Rezeption der griechisch-paganen Überlieferung gibt es Fehler: Statt der – stoisch-epikureischen – „Ataraxie“ (i.e. ungetrübte Seelenruhe) führt sie die „atoroxie“ ein.
Gut, solche Dinge unterlaufen jedem Autor vielleicht einmal. Die Nachsicht darf jedoch ihr Ende haben, wenn Pechriggl auf die christliche Sexualmoral einschlägt, indem sie das alttestamentliche Fortpflanzungsgebot („Gott segnete sie und sprach: Seid fruchtbar und vermehrt euch“; Gen 1,22) ausgerechnet nach der wohlfeilen Polemik des gerade in dieser Hinsicht nicht unbedingt zuständigen Landsmanns Udo Jürgens („Blaues Album“, 1988) als „Gehet hin und vermehret euch!“ zitiert. – Da aber ging der Rezensent hinaus und weinte bitterlich.

Manfred Füllsacks Text über den Begriff „Arbeit“ in historischer, sozialwissenschaftlicher, ökonomischer und philosophischer Perspektive leidet an sprachlichen Insuffizienzen, die das Verstehen manchmal doch sehr erschweren. Da „beleuchtet“ ein „Umstand interessante Aspekte“; oder: „Erst mit der beginnenden Neuzeit rückt die Arbeit als wertschöpfende Ressource im modernen Sinn in den Fokus.“ Oder auch: „Die Reformation, wie sie gewöhnlich mit der Verkündung der 95 lutherischen Thesen im Jahr 1517 assoziiert wird ...“.
Wenig später heißt es: „Zentral war dieser Begründung seine [i.e. Luthers] Kritik an der monastisch-klerikalen vita contemplativa, die noch Thomas von Aquin besonders herausgestellt hatte.“ Bedauerlicherweise nimmt sich der Autor in diesem Kontext nicht die Zeit, die alte These Max Webers (Zusammenhang von Protestantismus/Calvinismus und „Geist des Kapitalismus“) in gebührender Weise vorzustellen und einer kritischen Prüfung zu unterziehen. Nachdenklich stimmt schließlich die Wendung: „Vor rund 200 Jahren hat Georg Wilhelm Friedrich Hegel darauf aufmerksam gemacht, dass auch Begriffe arbeiten“, womit Füllsack - ironisch-scherzend oder ernsthaft-kryptisch? – auf Hegels Diktum aus der Vorrede zur „Phänomenologie des Geistes“ anspielt: „Wahre Gedanken und wissenschaftliche Einsicht ist nur in der Arbeit des Begriffs zu gewinnen.“ Wie wahr!

Wie frisch, systematisch transparent und schnörkellos geht es hingegen in Birgit Reckis (Universität Hamburg) Schrift über „Freiheit“ zu! Das Buch ist ein Meisterstück luzider philosophischer Konzisität. Ausgehend von Augustinus‘ „De libero arbitrio“ („Vom freien Willen“) verfolgt Recki die lange Geschichte der – strukturell eigentlich gleichbleibenden – Diskussionen um die Willensfreiheit, würdigt die Argumente der Befürworter und Bestreiter bis hin zum aktuellen, von der Neurobiologie induzierten Diskurs; setzt uns die „Freiheitsantinomie“ Kants auseinander, erwägt Fragen der Freiheit in Kultur, Politik und Kunst und plädiert am Schluß im Hinblick auf die Unentscheidbarkeit des Zwistes zwischen Deterministen und Nicht-Deterministen für eine pragmatisch-vernünftige Gelassenheit, die sich Blaise Pascals „Wette“ zum Vorbild nimmt, indem sie auf „Freiheit“ setzt, weil der Gewinn viel in Aussicht stellt, der Verlust aber wenig kostet. In dubio pro libertate!

Die beiden Bändchen über „Gerechtigkeit“ (von Elisabeth Holzleithner) und „Wahrheit“ (von Richard Heinrich) zeichnen sich aus durch die solide Nüchternheit eines engagierten Lehrbuchs für fortgeschrittene Semester. Man muß jedoch schon erstens gutgelaunt und zweitens sehr firm in der jeweiligen Materie sein, um diese zweifellos sachkundigen und didaktisch wohldurchdachten Texte „kurzweilig“ zu finden. Aber bitte: Weder in puncto Gerechtigkeit noch in puncto Wahrheit läßt sich ohne die antiken Säulen Plato und Aristoteles oder ohne zumindest rudimentäre Kenntnis des Aufklärungsgiganten Kant ideengeschichtlich Verbindliches sagen; wie ja überhaupt das ganze Liessmannsche Sammelwerk eher bezeugt, daß der Weg der Wissenschaft steinig ist. Dessen Verlauf ist, so betont Richard Heinrich unter etwas mysteriösem Rekurs auf Philip Kitchers Buch „Science, Truth, and Democracy“ (2001), immer wesentlich abhängig von interessierten wissenschafts- und wahrheitsexternen Instanzen, eben von den – nicht selbst wissenschaftlich legitimierten – „Beziehungen von Forschungspolitik, Demokratie und Wissenschaft“.

Man wird nicht gänzlich fehlgehen, wenn man diese Andeutung Heinrichs als eine Erinnerung an die einschlägige, in ihrer Deutlichkeit unschlagbare Äußerung Liessmanns zur gegenwärtigen Forschungssituation aus der „Theorie der Unbildung“ versteht: „Unbefangen etwa über Fragen der Ethnizität, Geschlechtlichkeit, Probleme der Migration oder die Geschichte des 20. Jahrhunderts zu forschen, ist nahezu unmöglich geworden – die von der politischen Moral diktierten Forschungsergebnisse stehen in der Regel vorab schon fest.“
Sicher, Wahrheitsfragen sind immer auch Machtfragen, wie Nietzsche schon sagte. Mit ihm und Heideggers Verständnis der Wahrheit als „Unverborgenheit“, „Offenes“ oder „Lichtung“ bricht Heinrichs Abhandlung plötzlich ab. Von Habermas‘ Konsenstheorie, von Foucaults Diskursanalyse und von der Wahrheitsdekonstruktion à la Derrida erstaunlicherweise kein Wort.
Indes kommt Foucaults archäologische Genealogie der Verwobenheit von Herrschaft, Wissen und Macht in Wilhelm Bergers Band über „Macht“ an zentraler Stelle zur Sprache: „Macht-Wissen“ ist der einschlägige Terminus. Berger formuliert seinerseits: „Die Macht des Wissens zu monopolisieren, ist in Geschichte und Gegenwart eine wesentliche Gegentendenz zum Programm der Aufklärung.“ Berger gliedert seine Untersuchung in diese Abschnitte: „Macht in der Antike“, „Die Macht der Religionen“, „Macht der Fürsten, Macht des Staates“, „Macht der Ökonomie, Macht des Geldes“, „Macht des Wissens, Macht der Technik“, „Totalitäre Macht“ und „Macht in Zeiten der Globalisierung“.

Den „Krieg“ haben wir ebenfalls unter die zehn wichtigsten Wörter unserer Kultur zu subsumieren. Der Wiener Rechtsphilosoph Christian Stadler nähert sich dem Krieg „systemisch-dialektisch im Lichte seines Begriffs“ und stellt vorab klar: „Es gilt, das gleichsam mit metaphysischer Unerbittlichkeit wesenden Kriegen [sic] in den Wurzeln des abendländischen Denkens aufzuspüren und Tiefenstrukturen der politischen Prozesse zu entfalten, die es erlauben, das historische Phänomen ‚Krieg‘ auf sein geschichtliches Noumenon hin zu denken.“ Den Studierenden, denen dieses Programm noch nicht intrikat genug ist, hilft Stadler dann wenige Seiten später weiter. Jene methodenexplizierende Stelle unter der schlichten Überschrift „Die polemologische Reflexion als transzendentaler Selbstvollzug“ sei in ihrer vollen Schönheit wiedergegeben; sie lautet: „Leitstern des hier vorgeschlagenen Marsches durch die abendländische Gedankenwelt kann nur ein idealistisches Grundverständnis vom Krieg selbst sein. Die Anstrengung des zu verwirklichenden Begriffes weist über das Physische stets hinaus ins Metaphysische, über das Faktische hinaus ins Normative, über das Werthafte hinaus ins Prinzipielle; daher ist die transzendental-synthetische Deduktion der entelechetisch-analytischen Induktion als Methode der Seinslichtung vorzuziehen. Unser Unterfangen, das Phänomen Krieg auf seine gleichsam platonisch-sonnenhafte idealitas hin zu befragen – eine Ideenhaftigkeit, die ebenso existenz-wie erkenntnisbegründend ist – , nötigt zur gebotenen Systemik des eigenen Seinsvollzugs, wie dieser sich sowohl im Denken des späten Platon (‚Parmenides‘, ‚Sophistes‘) als auch der neuzeitlichen System-Platoniker Spinoza, Fichte und Schelling andeutet.“ – Wir erinnern uns, es geht um „Krieg“ oder, wie man heute vorzugsweise zu sagen pflegt, um „kriegsähnliche Zustände“!
Doch gemach, Stadlers inhaltliche Ausführungen sind dann längst nicht so angespannt, wie man es zunächst befürchten mußte. Besonders das kompakte Kapitel über die neuzeitliche Entmoralisierung, also Legalisierung und Rationalisierung des Kriegsverständnisses darf als im besten Sinne lehrreich bezeichnet werden. Ins Fundamentalontologische geht es dann am Ende mit Heideggers („Das Sein ist kein Gemächte des Menschen“) Interpretation von Heraklit (Krieg als Vater aller Dinge). Und Stadlers letztes Wort wird jeder geneigte Leser schließlich unterschreiben können: „In jedem Falle ist gleichermaßen Demut wie Mut angesagt im Angesicht des immerwährenden Krieges.“

Das Bemühen um eine entspannte Präsentation seiner Überlegungen zur variantenreichen Begrifflichkeit und zur schier uneingrenzbaren Ideengeschichte des „Glücks“ ist Georg Schildhammers Buch anzumerken, dessen Umschlagstext bereits flockig auftritt: „‚Das Glück is a Vogerl‘ sagt der Volksmund – kurz: Die Jagd nach dem Glück beschäftigt uns alle.“ Schildhammer bereitet akademisch gefordertes Wissen mit betont unakademischem Gestus auf: „Es wäre ein Missverständnis, Kant zu unterstellen, er wäre dagegen, dass die Menschen glücklich seien.“

Man kommt angesichts derartiger Leichtfüßigkeiten kaum umhin, den Erdnußbuttergeschmack englisch-US-amerikanischer Wissenschaftspopularsprache auf der Zunge zu spüren. Man liest etwas über diverse Amulette als Glücksbringer, über das Märchen von „Hans im Glück“, schlendert ein wenig durch die Gefilde der antiken Eudaimonia, stößt auf „Angebote aus der Religionsgeschichte“, lernt etwas über Utopien, Psychoanalyse, Drogen und Glücksspiele sowie sogar über das Oxytocin, „ein Neuropeptid, das in der Hypophyse produziert und von dort ins Blut abgegeben wird. Es löst bei Schwangeren die Wehen aus und fördert den Milchfluss der Mutter, wirkt sexuell stimulierend auf Männer und Frauen und ist bedeutsam bei der Paarbindung sowie bei jener zwischen Eltern und ihren Kindern.“ Nun denn, das mag alles so angehen, doch ist gewolltes „kurzweilig“ mitnichten per se das Gegenteil von „langweilig“.

Den letzten der zehn Bände möchten wir unter Berufung auf Goethe („Den Tod aber statuiere ich nicht.“) übergehen; selbst auf die Gefahr hin, der ehrenwerten Autorin Katharina Lacina, die den schwersten Teil erwählt hat, Unrecht zu tun. Wir nehmen den zweiten Satz ihres Buches ernst und werden hinfort zu diesem Thema schweigen: „Das Misstrauen in die Tragfähigkeit der Sprache als Ausdrucks- und Erkenntnismittel sollte jeder philosophischen Beschäftigung mit dem Tod zu eigen sein, denn der Gefahr, nur ‚leeres Geroll von Silben‘ (Bachmann) zu erzeugen, ist jedes Sprechen über den Tod ausgesetzt.“

Will man ein Fazit über das Liessmannsche Sammelwerk ziehen, so hat man ein Urteil über dessen Tauglichkeit für Studienzwecke tunlichst der Praxis und den akademischen Lehrern zu überlassen. Strenge Wissenschaftlichkeit war jedenfalls kaum angestrebt, eher wohl ein essayistisch arrangiertes Propädeutikum. Wer als bildungshungriger Leser ein durch fachliche Instruktion bewirktes geistiges Stimulans erwartet, wird weder völlig enttäuscht noch euphorisiert sein.

Vorschlag des Rezensenten: Man nehme sich ein Vierteljahr lang am Wochenende einige Stündchen Zeit für die Lektüre eines der Bücher, mache sich ein paar Exzerpte ad usum proprium und vertraue dem Beipackzettel des Verlags: „Denken bedeutete in der europäischen Geschichte immer auch, sich mit diesen Begriffen auseinanderzusetzen, sie immer wieder zu deuten, zu verwerfen oder im Rückgriff darauf neue Perspektiven zu entwerfen.“ Nebenwirkungen: Gelegentliche leichte Chasmen möglich. Kontraindikationen: Personen mit einer Idiosynkrasie gegen universitätsdidaktisch aufbereitete Destillate sollten zu Alternativpräparaten greifen; etwa zu der von Piper herausgebrachten „Trilogie“
- „Über die Liebe“,
- „Der Tod im Leben“ und
- „Über das Glück“.

Wenn die Lektüre der Liessmann-Kassette „Pflicht“ war, so handelt es sich bei dieser Trilogie gewiß um eine geisteswissenschaftliche Kür oder, um in diesem wintersportlichen Bild zu bleiben, um ein Gala-Schaulaufen von Koryphäen. Unter der Leitung des Philosophen Heinrich Meier hatte die Carl Friedrich von Siemens Stiftung hoch- und höchstrangige Repräsentanten unterschiedlicher Disziplinen zu Vorträgen eingeladen, die der Piper-Verlag in überarbeiteter und erweiterter Fassung dem breiten Publikum der Sucher nach dem Sinn des Lebens in erschwinglichem Taschenbuchformat anbietet.

Schon qua Anwesenheit des – man sehe mir diese Vorliebe nach – Schweizer Literaturwissenschaftlers Peter von Matt in allen drei Teilen ist diese Veranstaltung nobilitiert. Nennen wir aus dem mittleren Teil der „Trilogie“ („Der Tod im Leben“) lediglich Titel und Untertitel seines Beitrags: „Tod und Gelächter. Der Tod als Faktor des Komischen in der Literatur“, und gehen über zu Peter von Matts Vortrag aus dem Band „Über die Liebe“, der sich unter der Überschrift „Versuch, den Himmel auf der Erde einzurichten“ dem „Absolutismus der Liebe in Goethes ‚Wahlverwandtschaften‘“ zuwendet.
Von Matt stellt die Essenz des Romans in die ideengeschichtliche Umgebung des Magnetismus-Diskurses des frühen 19. Jahrhunderts, wo Phänomene wie Hellseherei, Hypnose, Telepathie etc. antiaufklärerisch anfällige Gemüter zur romantizistischen Esoterik verführten. Doch Goethe läßt es bei der schlichten Anerkenntnis banaler Absonderlichkeiten nicht bewenden: Dem „eindringenden Ungeheuren“ der Liebe in den „Wahlverwandtschaften“ eignet, so Peter von Matt, „die absolute Gewalt des antiken Schicksals“. Wie der Magnet ist die Liebe zwischen Mann und Frau ein „Urphänomen“, das „man nur zur Kenntnis nehmen, nicht aber erklären kann“. Die Urgewalt der Liebe ist von sich selbst aus von einer „radikalen Außersittlichkeit“ und steht dem Sittlichen als dem Produkt des nicht minder urgewaltigen, ordnungserzwingenden Zivilisationsdrucks entgegen. Es ist nun einmal das ureigenste Kennzeichen der Liebe, daß sie sich als ein anarchisches Wesen behaupten will, welches sich jedem reglementierenden Zugriff entzieht.
„Die als unverfügbar erlebte und bejahte Liebe erscheint wie ein Skandal der Vernunft“, schreibt Ulrich Pothast in seinem Beitrag „Liebe und Unverfügbarkeit“, der dereinst, wenn man vielleicht fragen wird, was es denn mit der Liebe im Abendland auf sich hatte, als eines der Hauptdokumente entdeckt, geschätzt und bewundert werden wird. „Die Liebe“, so Pothast, „ist nicht bloß ein Gefühl, sondern mehr als ein Gefühl, jedenfalls wenn man unter ‚Gefühl‘ nur einen Seelenzustand oder eine Seelenbewegung versteht. Die Liebe ist eher ein Gesamtzustand von Person und wahrgenommener Welt. Wenn wir lieben, sind wir veränderte Menschen mit veränderter Wahrnehmung, verändertem Denken, verändertem Körper, einem veränderten Welt- und Selbstverhältnis. Wir sehen unsere Umgebung anders, wir sehen die geliebte Person anders, als bevor wir sie liebten, und wir handeln anders, auch in Situationen, die mit der Liebe augenfällig nicht zusammenhängen.“

Neben den beiden genannten finden sich im Symposionsband „Über die Liebe“ die folgenden Autoren und Beiträge:
- Gerhard Neumann: „Lektüren der Liebe“,
- Helen Fisher: „Lust, Anziehung und Verbundenheit. Biologie und Evolution der menschlichen Liebe“,
- Karl-Heinz Kohl: „Gelenkte Gefühle. Vorschriftsheirat, romantische Liebe und Determinanten der Partnerwahl“,
- Jean Starobinski: „Fêtes galantes. Geburt und Niedergang einer Utopie der Liebe“,
- Seth Benardete: „Sokrates und Platon. Die Dialektik des Eros“,
- Walter Haug: „Tristan und Lancelot. Das Experiment mit der personalen Liebe im 12./13. Jahrhundert“,
- Kurt Flasch: „Liebe im Decameron des Giovanni Boccaccio“,
- Heinrich Meier: „Epilog. Über Liebe und Glück“.

Der Band „Über das Glück“ wird eingerahmt von einem Prolog und einem Epilog Heinrich Meiers und vervollständigt die „Trilogie“ der Carl Friedrich von Siemens Stiftung und des Piper-Verlags mit diesen Texten:

- David E. Wellbery: „Prekäres und unverhofftes Glück. Zur Glücksdarstellung in der klassischen deutschen Literatur“,
- Ulrich Pothast: „Glück und Unverfügbarkeit“,
- Norbert Schwarz: „Intuitive Annahmen über das glückliche Leben – und warum wir so wenig aus der Erfahrung lernen“,
- Karl-Heinz Kohl: „Der glückliche Wilde. Imagination oder Realität?“,
- Peter von Matt: „Glück als Ziel des Weltalls und der Literatur“,
- Camille Paglia: „Agonie und Ekstase. Das flüchtige Glück des abendländischen Künstlers“,
- Lorraine Daston: „Monomanie in der Wissenschaft“,
- Christopher Bruell: „Das Glück aus der Sicht der Philosophie“.

Zwei Beiträge möchte ich am Ende herausgreifen: Erstens Camille Paglias (die US-Kulturhistorikerin ist hierzulande vor allem durch „Die Masken der Sexualität“, 1992, bekannt geworden) Apologie des – traditionell-alteuropäisch verstandenen – künstlerischen Schaffens. Gegen die poststrukturalistische Entlarvungspolemik, die in den kanonischen „Meisterwerken“ der heute vielgeschmähten Dead White European Males („angefangen bei Homer“) lediglich Dokumente von Ausschließungs- und Unterdrückungsprozeduren erkennen möchte, insistiert Paglia auf dem Glück des Künstlers, im Werk einen authentischen Gegenkosmos zu gestalten: „Damit sich Kreativität wiederbelebt, muß die Kunst erneut verstanden werden als eine magische Verschmelzung des Materiellen und des Spirituellen, deren Vereinigung sowohl dem Schaffenden wie dem Rezipienten ein sie zutiefst veränderndes Glück bringt“, schreibt sie und erinnert etwa an den Jazzmusiker Miles Davis: „Davis leugnete, daß Glücksgefühle seine Motivation oder sein Ziel seien, doch paradoxerweise definierte er so das Glück neu und gab es anderen.“
Und dann: „Sein ganzes Glück lag in der transzendenten Welt des Kunst.“ Allerdings bezieht sich dieser Satz auf einen anderen Musiker: „Berichte aus Beethovens späterem Leben beschreiben ihn, wie er verdreckt, ungepflegt und zottelig durch die Straßen Wiens wanderte, summend oder tonlos heulend, eine heruntergekommene Erscheinung, von den Straßenkindern verspottet.“ Und doch war er Beethoven!

Sehr oft liegt eben das Glück im anderen Leben, wie die US-Wissenschaftshistorikerin Lorraine Daston in ihrem beglückenden Aufsatz, der Freud und Leid des einsamen, nur der Wissenschaft gewidmeten Daseins zum Thema hat, zu berichten weiß: „Welcher normale Mensch würde schon 18 Stunden des Tages damit zubringen, tote Sprachen zu rekonstruieren oder auf Raupen zu starren, und darüber vor Begeisterung vergessen, sich anzuziehen oder zu essen? Wer um alles in der Welt würde deswegen freiwillig bürgerliche, religiöse und familiäre Rechte und Pflichten und sogar angenehme Geselligkeiten über Bord werfen? Wer Gesundheit, Liebe und Vermögen vernachlässigen, um Wissen über Dinge anzuhäufen, das niemandem nutzt und immer unvollkommen bleibt?“
Mediziner der Aufklärungszeit sahen das Leben der Gelehrten von Melancholie, Irrsinn und Verfolgungswahn bedroht. Aber Johann Georg Zimmermann, Leibarzt des Alten Fritz, erspürte in seinem vierbändigen Werk „Über die Einsamkeit“ von 1784 auch das ungeheure Glück, das in einer der puren Erkenntnis geweihten Existenz liegt: „Das daher entstehende abgesonderte Leben hat etwas so vorzüglich reizendes vor allen gewöhnlichen Vergnügen, daß es einem solchen Manne schwer fällt, sich davon loszureissen.“


 

Konrad Paul Liessmann (Hg.)
Grundbegriffe der europäischen Geistesgeschichte
facultas.wuv, Wien, 2009
10 Bände im Schuber, ca. 120 Seiten/Band
€ 76,80 (D); 79,00 (A); sFr 130,00
ISBN 978-3-7089-0464-1

Heinrich Meier und Gerhard Neumann (Hg.)
Über die Liebe. Ein Symposion
Piper Verlag, München, 2001, 3. Aufl. 2008
€ 9,90 (D);10,20 (A)
ISBN 978-3-492-23233-3

Friedrich Wilhelm Graf & Heinrich Meier (Hg.)
Der Tod im Leben. Ein Symposion
Piper Verlag, München, 2004, 2. Aufl. 2008
€ 12,90 (D); 13,30 (A)
ISBN 978-3-492-24271-4

Heinrich Meier (Hg.)
Über das Glück. Ein Symposion
Piper Verlag, München, 2008
€ 9,95 (D); 10,30 (A)
ISBN 978-3-492-25304-8


 


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