Widerstand
mit Witz
Ben Lewis legt seine materialreiche Untersuchung zum Verhältnis von Kommunismus
und Satire von 1917-1989 vor.
Der britische
Dokumentarfilmer und Künstler Ben Lewis legt mit diesem Buch eine Geschichte des
Humors in der Sowjetunion und den Ostblockstaaten vor und fragt, ob Witz, Satire
und Karikatur einen Beitrag zum Untergang des Kommunismus geleistet haben. Die
gut 450 Seiten sind eine unterhaltsame Mischung aus Witzsammlung, Politik- und
Kulturgeschichte sowie der Offenlegung einer Ost-West-Beziehungskrise.
Am Anfang des komischen
Manifests steht Orwell und sein Bonmot: »Jeder Witz ist eine kleine Revolution.«
Witze schienen in der Tat
die einzige Waffe der einfachen Leute in totalitären Systemen zu sein. Und je
grausamer dieses System, desto besser waren anscheinend die Witze. Indem er sich
auf das Erzählen von Witzen seit der Oktoberrevolution konzentriert, sucht Lewis
nach einer alternativen Geschichtsschreibung sowie nach den »Früchten des
Systems«, einer von der Diktatur unterdrückten Humanität in Gestalt des Humors. Zwecks dessen bereiste Lewis den
gesamten Ostblock, traf Zeitzeugen wie den ehemaligen Solidarność-Vorsitzenden
Lech Wałęsa, den Karikaturisten Boris Jefimow, den Schriftsteller György Dalos,
Ernst Röhl vom
»Rat der Spötter« oder den Breslauer politischen Aktivisten und
Künstler Waldemar
»Major« Fydrych. Ein Treffen mit Michail Gorbatschow
scheiterte an den Honorarvorstellungen des einstigen Generalsekretärs und
politischen Reformers.
Eine ganze Reihe der von
Lewis angeführten Beispiele aus der Welt des Witzes stammen aus Zeitschriften
wie dem russischen Satiremagazin »Krokodil«, dem deutschen »Eulenspiegel« oder
aber der nach dem Tode Stalins verstärkt einsetzenden Samisdat-Literatur.
Charakteristisch für diese Kultur des humorvoll-kritischen Umgangs mit dem
System ist die Parodie von Unterwürfigkeit und Loyalität. Entweder wird die
Theorie des Marxismus-Leninismus auf ein dazu unpassendes Alltagsproblem
angewendet, oder aber ein unpassender Anlass dient als Beweis für die
Richtigkeit der offiziell vertretenen politischen Position. Wie die meisten
Witze arbeitet der kommunistische Witz auch mit der Doppelbedeutung von
Begriffen. Ein (leicht abgeändertes) Beispiel:
»Sagen Sie mir, wie ist
die politische Situation in ihrem Land?« wird ein russischer Auswanderer von
einem amerikanischen Emigrationsbeamten gefragt.
»Oh, ich kann mich nicht beklagen.«
»Und wie ist die Menschenrechtssituation in Ihrem Land?«
»Na ja, um ehrlich zu sein, ich kann mich nicht beklagen.«
»Na gut, aber wie steht es mit der wirtschaftlichen Situation?«
»Ich kann mich wirklich
nicht beklagen« lautet auch hier die Antwort.
»Ja aber, warum wollen Sie die Sowjetunion überhaupt verlassen?«
»Ich kann mich nicht
beklagen!« erwidert der Auswanderer.
Lewis bettet eine Unzahl
solcher Witze ein in die Geschichte des Kommunismus zwischen 1917 und 1989, die
so zu einer recht kurzweiligen Unterhaltung avanciert, und fügt dem Ganzen
einige private Anekdoten über den aktuellen Status seiner Beziehungskrise mit
einer bekannten Kunstkuratorin aus dem Osten hinzu.
Im Zentrum steht hierbei
die Frage, inwieweit die Witze die Politik beeinflusst haben – und umgekehrt.
Grundsätzlich galt, dass Witze über die KPdSU oder andere kommunistische
Parteien als Hetze gegen das System und damit als antikommunistische Propaganda
und Gedankenverbrechen verstanden wurden, für die der ein und die andere mit
empfindlichen Repressionen rechnen mussten. Kritik war allenthalben als
Denunziation, als Selbstkritik oder als offiziell genehmigter Humor möglich.
Eine Genese des
Witzerzählens zwischen Oktoberrevolution und Mauerfall wäre im Grunde zur
Veranschaulichung dessen völlig ausreichend gewesen. Warum Lewis jedoch eine so
übermotivierte These wie die, dass der kommunistische Witz zum Sturz des Systems
beigetragen habe, verficht, bleibt bis zum Schluss das große Rätsel des Buches.
Als habe der Homo ridens
kommunistischer Provenienz das Ende der Unterdrückung regelrecht herbeigelacht,
begibt sich Lewis ins Dickicht verschiedener Humortheorien. Eine wichtige aber
lässt er außer Acht – Bergsons Ausführungen über den Grund des Lachens. Warum
lachen die Menschen in kommunistischen Systemen überhaupt? Doch bloß, weil hier
alles Lebendige mechanisch geworden ist. Sie lachen über eine verkleidete
Gesellschaft, deren Maskerade geradezu absurd wirkt. Je verzerrter diese
kommunistische Welt, desto komischer wirkt sie. Die Menschen machen sich lustig
über die Repetiermechanismen, Automatismen und Stereotypenbildungen des Systems.
Und sie lachen so wie Menippus bei seiner Reise in die Unterwelt den Tod aus, um
lebendig zu bleiben. Nicht zuletzt aber stärkt das Lachen das
Gemeinschaftsgefühl und trägt, so Bergson, dazu bei, wieder Mensch zu werden in
unmenschlichen Zeiten. Es geht also allein ums Überleben. Es geht darum, im
Antlitz der Bestie Humanität zu bewahren.
Es gab wohl nur wenige
Epochen in der Menschheitsgeschichte, die so sehr durch Stereotypen und
mechanisch wirkendes Auftreten geprägt waren wie das politische Leben im
Kommunismus. Nur deshalb waren die Witze auch so exzellent, wie Lewis
eindrucksvoll belegt. Und nur deshalb nimmt das Erzählen von Witzen mit Beginn
der Tauwetterperiode zusehends ab und verschwindet zugunsten des Kampfes für
Reformen Ende der 1980er Jahre nahezu vollständig.
Es ist allerdings
keineswegs so, wie der britische Humorologe bis zuletzt glaubt, dass der Witz
die Politik gravierend beeinflusst habe; es ist eher umgekehrt. Zum Sturz des
Kommunismus hat die sowjetische Afghanistan-Politik, haben Tschernobyl,
Solidarność, Glasnost, die Wirtschaftslage und das wachsende Interesse am Konsum
beigetragen. Der sowjetische Humor reagierte seit eh und je bloß auf die
vorherrschenden politischen Verhältnisse.
Lewis bemerkt – angeregt
durch den deutschen DDR-Historiker Stefan Wolle – dann auch, dass die wenigsten
kommunistischen Witze tatsächlich kommunistische Witze waren. Die meisten
stammen aus dem 19. Jahrhundert und der Französischen Revolution und wurden von
den Sowjets in leicht geänderter Fassung übernommen. Lewis gesteht: Der
kommunistische Witz scheint eine Illusion. Oder in Umkehrung des Orwellschen
Gedankens: Jede Revolution ist auch ein kleiner Witz.
Lewis Buch bietet
nichtsdestotrotz kurzweilige historische Unterhaltung, gewürzt mit einer Prise
privater Anekdoten. Wer das Verhältnis von Hammer und Tickle
verstehen will, ist mit dem komischen Manifest sicherlich gut beraten.
Ja, allein dieser
unübersetzbare Titel! HammerandSickle ist allen ein
Begriff. Tickle hingegen bedeutet so viel wie Kitzeln. Unweigerlich wird
der Brite aber auch an slap and tickle erinnert – das Vorspiel. Als ein
solches versteht ja auch Lewis den Witz: Als Vorspiel der 89er-Revolte. In der
deutschen Übersetzung ist das kaum einzufangen. Deshalb ein Lob an den Erfinder
des Haupttitels. Er greift nicht nur das Wortspiel auf, sondern spiegelt ebenso
die Verbindung von Kommunismus und Humor wider. Jürgen Nielsen-Sikora
Ben Lewis Das komische Manifest
Kommunismus und Satire von 1917-89
Originaltitel: Hammer
and Tickle
Aus dem Englischen von Anne Emmert
Gebundenes Buch mit Schutzumschlag
464 Seiten mit ca. 50 s/w- und Farb-Abb. ISBN: 978-3-89667-393-0
€ 22,95 [D] | € 23,60 [A] | CHF 39,90