Glanz
&
Elend
Magazin für Literatur und Zeitkritik
Die menschliche
Komödie
als work in progress
Zum 5-jährigen Bestehen
ist
ein großformatiger Broschurband
in limitierter Auflage von 1.000
Exemplaren
mit 176 Seiten erschienen, die es in sich haben.
Literatur in
Bild & Ton
Literaturhistorische
Videodokumente von Henry Miller,
Jack Kerouac, Charles Bukowski, Dorothy Parker, Ray Bradbury & Alan
Rickman liest Shakespeares Sonett 130
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kleine Materialsammlung
Man schaut und hört wie gebannt, und weiß doch nie, ob er einen
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Monologen über Gott und Welt. Ja, der Bernhard hatte schon einen
Humor, gelt?
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Ulrich Breth über die
Metamorphosen des großen Rätselhaften
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Glanz&Elend -
Die Zeitschrift
Zum 5-jährigen Bestehen
ist
ein großformatiger Broschurband
in limitierter Auflage von 1.000
Exemplaren
mit 176 Seiten, die es in sich haben:
Die menschliche
Komödie
als work in progress »Diese mühselige Arbeit an den Zügen des
Menschlichen« Zu diesem Thema haben
wir Texte von Honoré de Balzac, Hannah Arendt, Fernando Pessoa, Nicolás
Gómez Dávila, Stephane Mallarmé, Gert Neumann, Wassili Grossman, Dieter
Leisegang, Peter Brook, Uve Schmidt, Erich Mühsam u.a., gesammelt und mit den
besten Essays und Artikeln unserer Internet-Ausgabe ergänzt.
Inhalt als PDF-Datei
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Glanz & Elend
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Heideggers »Nubbelisierung« als exegetische Schwäche
Eine
Entgegnung von Goedart Palm
zu Emmanuel Fayes Versuch der Austreibung
Martin Heideggers
Nahm Martin Heidegger der Philosophie die Unschuld ihrer kontemplativen
Weltabgewandtheit, ihres spekulativen Müßiggangs und dem verbunden ihrer
relativen politischen Folgenlosigkeit?
Heidegger schaffte es scheinbar mühelos, sich punktgenau mit dem Auftakt des
Dritten Reichs aus der tiefsten Lektüre der Vorsokratiker umstandslos in die
unheilvollen Gefilde der politischen Machthaber zu begeben und hier wenigstens
für kurze Zeit der Autosuggestion zu erliegen, er könnte der Führer des Führers
sein. War das ein persönlicher Irrtum des in den zwanziger Jahren avancierten
Philosophiestars, ein schicksalhafte Verstrickung, die überschätzte Episode
einer epochalen Philosophie oder begründet das ein fundamentales Verdikt
gegenüber dem gesamten Denken Heideggers bis in die letzten Kapillaren seiner
Philosophie?
Inzwischen ist das ein altes, immer wieder ventiliertes Thema, an dem sich
zahlreiche Nach-Denker, Apologeten wie Kritiker Heideggers versucht haben.
Vertreten werden in dieser Diskussion zahlreiche Meinungen zu den
Ansteckungsgraden eines Denkens, das reklamierte, die Philosophie fundamental
neu zu erfinden, ja mehr als bloße Philosophie zu sein. Im Grunde, und wenn man
Heidegger folgt, muss der Denkende immer tief gründen, gibt es nur griechische
und deutsche, vor allem eben Heideggersche Philosophie. Sollte dieser hohe, wenn
nicht narzisstische Anspruch zu viele Schüler geblendet haben, die
nationalsozialistische Dimension seines Denkens zu erkennen und das Werk in toto
zu verwerfen?
Zwei Auseinandersetzungen haben sich dem konflikthaltigen, in der
Philosophiegeschichte einzigartigen Thema besonders nachhaltig gewidmet: Die
Abhandlung von Victor Farias aus dem Jahre 1989, »Heidegger und der
Nationalsozialismus« und die jetzt übersetzte, bereits seit 2005 vorliegende
Untersuchung von Emmanuel Faye »Heidegger. Die Einführung des
Nationalsozialismus in die Philosophie«. Dieter Thomä resümierte seine Lektüre
dieser äußerst streitlustigen Untersuchung damals so: »Ja, die Philosophie kann
skandalös sein, und wenn sie von Deutschland nach Paris kommt, ist sie für den
Tumult gerade gut genug. Dort kocht der Geist hoch, dort befindet sich ein
philosophischer Dampfdrucktopf, der in regelmäßigen Abständen aufgeheizt wird,
um schrille Töne von sich zu geben. Dann nämlich erhitzen sich die Gemüter an
der affaire Heidegger, also an dessen notorischem Einsatz für den
Nationalsozialismus als Rektor der Universität Freiburg i. Br. 1933/ 34. Alle
zwanzig Jahre wird Frankreich zum Heidegger-Land.«
Emmanuel Faye holt mächtig gegen den deutschen Großdenker aus: Heidegger habe
sich durch seine aktive Beteiligung am Nationalsozialismus, aufgrund von
Denunziationen und Geheimgutachten, der aktiven Einführung des Führerprinzips an
den Universitäten, der Wiederaufnahme der »nationalsozialistischsten und
rassistischsten« Schriften in die Gesamtausgabe als Philosoph völlig
diskreditiert. Seine vehementen Attacken gegen die Vernunft ließen jede
Aufrichtigkeit des Denkens vermissen. Er habe die Universalität des Begriffs der
Wahrheit verneint und zerstört, indem er sie auf eine Blut-und Boden-These
reduziert habe. Die von Immanuel Kant aufgeworfene Frage, was der Mensch sei,
werde »rassistisch« und »todbringend« beantwortet. »Die völkischen und zutiefst
rassistischen Grundsätze, die in der heideggerschen Gesamtausgabe vermittelt
werden, zielen auf die Auslöschung aller intellektuellen und menschlichen
Fortschritte ab, zu denen die Philosophie ihren Beitrag geleistet hat. Sie sind
also für das Denken der Gegenwart genauso gefährlich wie der Nationalsozialismus
dies für die leibliche Existenz der Ermordeten war.« Faye setzt damit in der
Kritik Heideggers den definitiven Schlusspunkt, der selbst scharfe Kritiker der
deutschen Ideologie und des verlogenen Jargons der »Eigentlichkeit« wie Theodor
W. Adorno dadurch »überbietet«, dass er Heidegger nicht mehr als Philosophen
gelten lässt und ihn aus dem Reich der Philosophie gänzlich verbannen will.
André Glucksmann hat bereits 1977 auf solche Versuche clairvoyant die Antwort
gegeben: »Überlassen wir es den Herren Doktoren, die das Glück haben, dieser
Misere entgehen zu können, den Beweis vorzubringen, dass es ja nur eine
‘deutsche Misere’ sei und dass es statthaft sei, Heidegger wegen seiner sechs
Monate währenden Sympathie für den Nationalsozialismus zu verbrennen, und dass
man über die fünfzig Jahre hinweggehen müsse, die andere damit verbrachten, den
(nationalen) Sozialismus des Vaterlands des Archipels GULAG willkommen zu
heißen.« Waren das sechs Monate einer vorübergehenden Mesalliance oder ist der
Nationalsozialismus das so nachhaltig angedachte »Wesen« dieser Philosophie?
Heidegger-Schüler Herbert Marcuse konstatierte: »Heute scheint es mir schamlos,
Heideggers Bekenntnis zum Hitlerregime als (kurzen) Fehltritt oder Irrtum
abzutun: ich glaube, dass ein Philosoph sich einen solchen 'Irrtum' nicht
leisten kann, ohne seine eigene und eigentliche Philosophie zu desavouieren.«
Otto Pöggeler gegenüber erklärte der Philosoph, der Selbstaussagen in allen
Lebensphasen scheute, dass er 1933 »völlig verblendet« gewesen sei, was Faye ihm
nicht ansatzweise abnimmt, da jeder explizite Widerruf fehle. Sind das späte, zu
späte Dementis, die innige Verbundenheit seiner Philosophie und seiner Person
mit dem Nationalsozialismus zu leugnen?
NSDAP-Mitglied und Spiritus rector
Heidegger bleibt die größte Provokation, die ein Denker dem Selbstverständnis
der Zunft bereitete. Denn dieses Mitglied der NSDAP war, wie schon die immer
noch wuchernde Publikationsfülle demonstriert, ein Hardcore-Denker, dessen
herausragende Persönlichkeit als Lehrer nie bestritten wurde. Wer den auf
Effekte setzenden Erregungsmodus von Hitler-Reden kennt, wird darin keine
Gemeinsamkeit zu dem philosophisch sorgfältig bis zur Ermüdung hin entfaltenden
Analysestil Heideggers erkennen. Aber die »große Wende«, von der Heidegger
spricht, schließt die nationalsozialistische Aufbruchsstimmung mit der
radikalontologischen Metaphysikkritik kurz, was schon deshalb nicht einfach als
Wahrnehmungstäuschung klein geredet werden kann, weil ein Philosoph, der von der
Erleuchtung bis zur Lichtung alle Erkenntnisintensitäten beschwört, schlecht
Dispens erwarten kann, wenn er den gröbsten Verwechslungen zu unterliegen
scheint. Wie konnte also ein Philosoph, der mit diesem epochalen Anspruch
auftrat und auch bis heute so wahr- und ernst genommen wird, zugleich ein Nazi
sein?
Die Philosophie war längst vor Heideggers Star-Karriere eine Disziplin der
Universitäten geworden, eine den Alltäglichkeiten und der Politik entrückte,
zumeist staubtrockene Welterschließungs- bzw. Weltverhinderungsweise, kaum
geeignet, Massen zu bewegen oder auch nur das geistige Leben anzuführen.
Heidegger markierte in der berüchtigten Rektoratsrede vom 27. Mai 1933 einen
völlig anderen Anspruch, der die funktionalistische Differenzierung der
Gesellschaften jedenfalls für den partikularistischen Anspruch der Philosophie
nicht mehr gelten lassen wollte. Das Wesen der deutschen Universität, das sich
über die Epochen mit dem großen Anfang des Wissens bei den Griechen verbünde,
gelte es zu wahren und fördern. Nun ist dieser kühne Hiatus noch keine genuine
Erfindung Heideggers, sondern eine längst von Hölderlin und Hegel ausgegebene
und von Nietzsche bespöttelte Losung. Heideggers Universität hat aber noch
andere »Qualitäten«: Mit der »vielbesungenen« akademischen Freiheit sei jetzt
Schluss. Statt dieser »unechten« Freiheit gebe es jetzt Bindung und Dienst der
deutschen Studentenschaft. »Die erste Bindung ist die in die Volksgemeinschaft«.
Arbeitsdienst, Wehrdienst und Wissenschaft bilden nun gleichursprünglich die
Trias der Bindungen »durch das Volk an das Geschick des Staates« in der
»schärfsten Gefährdung des Daseins inmitten der Übermacht des Seienden.« Liest
man diesen Text auch im Übrigen, so entsteht der Eindruck, dass Heidegger hier
die gängigen Parolen und Phrasen der neuen Herrscher mit denen seiner
Philosophie zusammenrührt, weil er an den »Kairos« glaubt, nun an der richtigen
Stelle stehend einen gewaltigen Epochenumbruch zu erleben, ja mehr, den
erfolgreichen Kampf gegen die ach so unerträgliche Bewusstlosigkeit der Moderne
und alle anderen Irrtümer der letzten Jahrtausende selbst als Denkheroe zu
führen. Gerade in dieser überzeitlichen Manie verliert Heidegger jeden Blick auf
die Geschichtlichkeit dieses fatalen universitären »joint venture« mit der
Macht, die nicht weniger trunken von ihrer tausendjährigen Mission
schwadronierte.
Das Bekenntnis zum Nationalsozialismus war besonders »anschlussfähig«, weil
Heidegger in zahllosen Varianten auf das »Wesen«, den »Ursprung« und das »Ganze«
zielte, letzteres nun dem Wortsinn nach schon von totalitärer Eignung.
Zwangsernüchterte Zeiten, die sich nicht auf universale Welterklärungen und
metaphysische Sicherheiten stützen können und zugleich einer unheimlichen, weil
eigendynamischen und gottgleichen Technik stärker ausgeliefert scheinen als je
zuvor, sind für diesen kontraindizierten Holismus und delirierenden Ton
besonders empfänglich gewesen. Heideggers Eintauchen in die Machtgeschichte des
Dritten Reichs wird erst verständlich, wenn sie auf seine Totalitätssemantik
rückbezogen wird, ohne - und das übersieht Faye permanent - in dieser
Indienstnahme völlig aufzugehen.
Hubert L. Dreyfus konstatiert 1972 in dem immergrünen, aber sicher nicht zum
Zeitpunkt des Erscheinens von »Sein und Zeit« 1927 phänomenologisch fassbaren
Problem »What computers can't do«, dass Heideggers Begrifflichkeit zwischen
»Zeug« und »Bewandtniszusammenhang« bereits die Antworten beinhalte, warum
künstliche Intelligenz nicht respektive nur unter bestimmten Umständen der
Verkörperlichung möglich sei. Solche erstaunlichen Zuständigkeiten des
Daseinsspezialisten in allen, auch tierischen und technischen Seinsfragen, die
sich dann mühelos über vorläufige naturwissenschaftliche Erkenntnisstände
hinwegsetzen, sind gegenüber der Macht und Politik noch leichter einzunehmen,
solange frei schwebenden Begrifflichkeiten den Gesprächsraum offen halten und
Allzuständigkeiten begründen. »Das Sein«, um das es Heidegger geht, eignet sich
in der Philosophie als supralogische »carte blanche«, die zur Begründung der
Begründungslosigkeit einigermaßen bequem ausgespielt werden kann. Wer so
»eigentlich« an die Ursprünge von Welt und Denken heranreichen will und nur die
Anfänge gelten lässt, während er in der folgenden Philosophiegeschichte
vornehmlich Verfallsformen des Denkens beobachtet, will mehr als nur schlichte
Wahrheiten verkünden. Die Rektoratsrede spricht nicht für eine leidige
Pflichtveranstaltung, der man sich im Angesicht der Macht notgedrungen
unterwirft, um wieder zum seriösen Hauptgeschäft der Philosophie zu wechseln.
Heidegger reagierte auf die neue Macht so enthusiastisch, dass Korrespondenzen
zwischen einer Philosophie, die das Handeln so energisch betont, und einer
Politik, die aktionistisch agiert, nicht nur eine Oberflächenkonstellation
beschreiben.
Faye hat gegen alle Kritiker Recht, die im Bagatellmodus der Kontamination
dieses Denkens mit der nationalsozialistischen Macht entkommen wollen bzw. die
Fluchthelfer spielen. Das ändert nichts am Befund von Jürgen Habermas anlässlich
des Erscheinens von Victor Farias Abhandlung, Heideggers Werk habe sich »längst
von seiner Person gelöst«. Heidegger wurde am 1. Mai 1933 NSDAP-Mitglied und
blieb es bis zum Ende des Kriegs, was wenig Raum für Abkehr lässt. »Heidegger
wollte den Führer führen, bedeutete mir Jaspers einmal.« (Willy Hochkeppel - DIE
ZEIT, 06.05.1983 Nr. 19). Ist das die Entschuldung eines in die Macht der
Philosophie Verliebten, der über das Katheder hinaus an seinem Wesen die
Herrschaft genesen lassen will? Oder hat sich Jaspers, der für Heideggers
Fascho-Rausch Erklärungen suchte und dem »aristokratischen Prinzip« Erfolg
wünsche (Rüdiger Safranski), hier aus alten Sympathien motiviert verhört? Jürgen
Habermas spricht von »Professorenwahnwitz«, der in der künstlichen
Kleingesellschaft der Universität gut gedeihen mag, wenn doch hier Dispens vom
wahren Leben gewährt wird. Suchen die Eigentlichkeit, die an recht
uneigentlichen Verhältnissen leiden? Philosophenherrschaft ist ein alter
vergeblicher Traum, der aus dem unbescheidenen Anspruch der Philosophie
erwächst, die ganze Welt zu um- und begreifen. Dieser Fehler hat Konjunktur.
Philosophen wie Leo Strauss glauben an das durch die Philosophie angeleitete
»Programm der aufgeklärten Tyrannis«, was sich verallgemeinert zur
neokonservativen Politikberatung, deren inferiore Qualitäten dann in zwei
Legislaturperioden Bush-Regierung teuer bezahlt wurden. Ob »der Besitz der
Gewalt das freie Urteil der Vernunft unvermeidlich verdirbt«, wie Immanuel Kant
mit einiger Plausibilität meinte, ist dabei nicht mal entscheidend gegenüber dem
Umstand, dass Philosophen, von wenigen Ausnahmen abgesehen, sich nicht als
Machthaber eignen.
Der Philosoph als Charismatiker
Bei Heidegger interessieren die Verbindungslinien seiner Philosophie zu
nationalsozialistischen Begrifflichkeiten nicht, um den Nachweis zu führen, dass
Heidegger Nazi gewesen ist. Das ist für jede vordergründige Betrachtung schon
deshalb einfach, weil Heidegger sich auf »pomp and circumstances« des Regimes
einschließlich von korrektem Hitler-Gruß und dem Absingen des
Horst-Wessels-Liedes einließ, was neben seiner etymologisierenden Sprachtümelei
besonders grotesk wirkte. »Wir entdecken nämlich, dass Heidegger zu einer Zeit,
als er gar nicht mehr dafür einstehen musste, in seinem Editionsplan ungerührt
die Veröffentlichung einiger seiner unverhüllt nationalsozialistischen und
hitlertreuen Schriften vorsah - ohne jede Einschränkung, ohne jede Reue.«
(Emmanuel Faye, Wie die Nazi-Ideologie in die Philosophie einzog, DIE ZEIT
18.08.2005 Nr.34) Faye konstatiert: »Am Fundament von Heideggers Werk findet man
keinen philosophischen Gedanken; man findet den völkischen Glauben an die
ontologische Überlegenheit eines Volkes und eines Stammes. Liest man daraufhin
in Sein und Zeit die Abschnitte über Tod und Geschichtlichkeit (mit ihrem Lob
des Opfers), liest man ferner die Abschnitte über die Wahl der Helden und des
authentischen Geschicks des Daseins in der Volksgemeinschaft, dann sieht man,
dass Heideggers völkischer Glaube schon 1927 am Werk war.«
Das ist hart gesagt und lässt den Begründungsaufwand für die ultimative
Heidegger-Demontage eher unverhältnismäßig erscheinen, wo es doch vorzugswürdig
gewesen wäre, den Faschismus als synthetisches und eklektisches Konstrukt zu
deuten. Der philosophische Gedanke, der vom faschistischen Virus infiziert wird,
ist das eigentliche Provokativum. Wäre Heidegger nur Hype, nur die Inszenierung
eines vor allem solipsistisch (Hannah Arendt) in sein »Selbst« verliebten
Philosophen, der - wodurch eigentlich? - sein schändliches Charisma zur
Verführung der Studenten nutzt, wäre diese Geschichte schnell erzählt. Faye
müsste daher zunächst die charismatische Strahlkraft Heideggers ausloten, dem
offensichtlich nicht nur mehr oder weniger Hörer seiner Vorlesungen und Seminare
erlegen sind, sondern respektable Denker aller politischen Provenienzen bis in
die Gegenwart hinein. Heidegger ist und bleibt Kult und die Rezeptionsgeschichte
schreibt sich bis auf Weiteres fort, weil er nicht nur ein Produkt manipulativer
Selbstinszenierung ist, weil es sich diese Denkbewegung nicht nur ideologisch
leicht und bequem macht - was nicht ausschließt, dass Heidegger seine
polyinterpretable Phraseologie streckenweise dem Nationalsozialismus bis zur
Kenntlichkeit anverwandelt oder zumindest die Etiketten umklebt. Weil Faye das
weiß, aber nicht, um keinen Preis einen denkenden Nazi rechtfertigen will,
nähert er sich dem Phänomen »Heidegger« so wie der Vorsitzende eines Tribunals.
Gerade dieser alles im Orkus des absoluten Bösen versenkende Duktus entschärft
die wirklichen Gefahren totalitärer Denkweisen, die als »Meme« sehr viel
lebensfähiger sein könnten als Chefdenker oder »Gesammelte Werke«. Die
abgründige Diabolisierung dieses Chef-Denkers negiert dessen eigentliche Potenz
und lässt nur noch ein philosophasterndes Gespenst übrig, das entsprechend
kommod auszutreiben ist. Wäre Heidegger nicht der, der er ist, wäre der posthume
Exorzismus seines philosophischen Werks doch gar nicht möglich. Jenseits dieses
Paradoxes hätte Faye vielleicht sein persönliches Verhältnis zu Heidegger
dokumentieren sollen, weil sich der Text so liest, als würde hier die Geschichte
einer großen Ent-Täuschung als Schauprozess aufgeführt.
Heidegger oder die Liebe zur Gefahr
Die Verführung eines Philosophen, der von Gefahr und Gefährlichkeit, Taumel und
Wirbel spricht, während er philosophiert, ist nicht überraschend. Hegel, der
angeblich preußische Staatsphilosoph, beging den Jahrestag der französischen
Revolution mit einer Bouteille Rotwein. »Philosophie ist das Gegenteil aller
Beruhigung und Versicherung … Wir kennen das noch gar nicht - diese elementare
Bereitschaft für die innere Gefährlichkeit der Philosophie« verkündet Heidegger
in seinen Metaphysik-Vorlesungen aus dem Wintersemester 1929/30. Ein Ordinarius
in Freiburg kann diese Gefährlichkeit nicht mit seiner Stellung belegen, dem
saturierten Bürgerstand angehörend und eine vorgezeichnete Karriere mit den
üblichen Stationen vor sich. Dass »dem heutigen Normalmenschen und Biedermann
bange« wird im Angesicht der Philosophie, dafür wollte er ausdrücklich
einstehen. Wer vom »Kampf um das Sein« spricht, will in der Philosophie eine
Bedeutung vermitteln, die der Universitätsphilosophie so gänzlich fremd ist.
Theodor W. Adorno hatte im »Jargon der Eigentlichkeit« die Gewalt als Kern der
Heideggerschen Philosophie ausgemacht, die in das Zentrum die »Theodizee des
Todes« rückt. Wenn Faye Heidegger die Vereinnahmung Hölderlins vorwirft, bleibt
unklar, wie der nun für die faschistische Todessehnsucht sensibilisierte Leser
über die folgende, missbrauchstaugliche Passage einfach so hinweg lesen soll,
dass sie ihren provokativen Charakter verliert und wir erleichtert aufatmen,
weil der Dichter es gar nicht so gemeint hat, wie es denn klingt: »Und
Siegesboten kommen herab: Die Schlacht/ Ist unser! Lebe droben, o Vaterland,/
Und zähle nicht die Toten! Dir ist,/Liebes! nicht Einer zu viel gefallen.« Der
Interpret Dieter Wellershoff (Was war, was ist. Erinnerungen an den 2.
Weltkrieg) liest das so: »Und ich war schockiert über die Bereitschaft der
deutschen Dichter-Ikone, für das Phantasma eines siegreichen nationalen Krieges
jede beliebige Anzahl von Toten billigend in Kauf zu nehmen … Ich glaube nicht,
dass Hölderlin wusste, was er da geschrieben hat.«
Die Liaison mit dem Nationalsozialismus riecht nach echter Gefahr und bestätigte
sich schließlich auch in den existenziellsten Bedrohungen, die auf dieser Welt
erfunden wurden. In Heideggers Fragen nach Welt, Vereinzelung, Endlichkeit wird
das besonders explizit: »Wir müssen erst wieder rufen nach dem, der unserem
Dasein einen Schrecken einzujagen vermag.« Solche Sätze einer Ontologie des
Schreckens, die das »uneigentliche« Dasein aufrüttelt, belegen, welche
Anziehungskraft ein geübter Schreckensdarsteller wie Hitler für Heidegger
besitzen musste. In einer der für Faye »unerträglichsten Stellen« redet
Heidegger von Kampf und Krieg »mit dem Ziel der völligen Vernichtung«. Dabei
wollen wir nicht diesem Lektüreeindruck widersprechen, doch wenn solche Texte
nicht nur zornesrot gelesen werden, wird auch die verräterische Stelle über das
»Grunderfordernis, den Feind zu finden, ins Licht zu stellen oder gar erst zu
schaffen«, wahrgenommen. Freilich heißt das nicht, dass Heidegger nicht den
vorgeblich realen »Feind« kennt, den »asiatischen« Feind, der die Juden mit
einer für damalige Zeitgenossen unverhohlenen Chiffre meint. Die von Heidegger
zugleich formulierte fiktionale Erschaffung des Feindes ist aber nicht nur
boshaft, sondern demonstriert ein grassierendes Leitmotiv, das sich auch bei
Carl Schmitt, dem Urheber des politisch so durch und durch praktischen
Freund-Feind-Antagonismus findet: eine unübersichtliche Welt wird wieder
überschaubar, wenn »man« an einen eigenen Feind glauben darf - wider jede
Frontverwischung und Komplexität, die zur Grunderfahrung (spät)moderner
Gesellschaften wird.
Die Alltäglichkeit ziviler, zudem professoraler Existenz wartet wenigstens in
den Köpfen auf ihre Transzendenz im Kampf, im Krieg, Sieg oder Niederlage.
Friedrich Nietzsche bemühte auch das »Asiatische«, um den
apollinisch-dionysischen Konflikt der Griechen besser zu verstehen. Dieser
martialische, antizivilisatorische Reflex ist ein bekanntes Ressentiment gegen
die Moderne und ihrer Differenzierungsanmutungen, das nicht nur dem Faschismus,
der Reaktion und so verdächtigen Bellizisten wie Ernst Jünger zugeschrieben
werden kann. Glucksmann hält es ohnehin für die Façon der Meisterdenker lange
vor Heidegger immer auf der »Höhe« zu sein, eben auf dem Kommandostand der
Panzer oder politischen Befehlsgewalten, kurzum: vom »mundus intelligibilis« bis
zur »Central Intelligence Agency« behauptet der Verstand seine imperialen
Dimensionen.
Leiden nicht seit je Philosophen unterschiedlichster Couleur an diesem
Selbstwiderspruch, sich hoch über alle Verhältnisse zu erheben, geistige Führung
zu reklamieren und dabei jenseits kleinster Leserkreise und hoffnungslos
zerstrittener Zirkel überhaupt nicht wahrgenommen zu werden? Wer Ideengeschichte
schreibt und die damaligen historischen Kontexte in ihren Kraftfeldern,
Schwingungen, Vermischungen etc. zu erfassen versucht, vermag die zumindest
latent kriegs- und kampflüsterne Dimension dieser Gesellschaften allenthalben zu
erkennen. Solchen Mentalitäten ist stärker nachzuspüren, auch und gerade im
Blick auf die von Faye beschworenen Gefahren, die von einem neuen Faschismus
ausgehen könnten. Wer die moralisch zwielichtigen Übergänge und unsauberen
Schnittstellen nicht sehen will, mag sich mit Holzschnitten auf politische
Integritäten und politische Verwerfungen berufen, jedoch die für eine Analyse
des Faschismus hinreichend bestimmten Differenzierungen verfehlen.
Emmanuel Faye spricht von der »Gefährlichkeit« des Heideggerschen Werkes und das
hätte der »Angeklagte« selbst auch als Paradigma seiner Denkbewegung eingeräumt.
Insofern könnte der französische Philosophieprofessor dem (verzeihlichen) Irrtum
des Insiders unterliegen, die eigene Disziplin, denn mehr ist Philosophie im
Ideenhandel der Gegenwart nicht mehr, ernster zu nehmen als sie ist:
»Philosophie ist das Allerernsteste, aber so ernst auch wieder nicht« (Theodor
W. Adorno). Das Bramarbasieren über Gefahr und Gefährlichkeit macht aus
Ontologie noch keine Politik, wie es Faye durch das unveröffentlichte Seminar WS
1934 belegt sieht, weil diese Politik auf ihre ontologische Zurüstung sehr gut
verzichten kann. Denn wenn es sich um eine Politik der Rücksichtslosigkeit
handelt, ist es wohl kaum die Philosophie, die auf Rücksichten des Faschismus
rechnen kann. Eher ist es so, dass Heidegger nach einer messianischen Politik
schielte, die der Universitätsphilosophie gegenüber einen uneinholbaren Vorteil
zu besitzen scheint: Wie kann bloßes Denken in Handeln umschlagen? Ja mehr: Wie
kann Denken Handeln sein? Die Philosophie wollte zum beachteten »socius« von
Weltgeist und Weltseele avancieren, um wenigstens für eine logische Sekunde dem
institutionellen Schicksal der leeren Worte zu entrinnen. Dieser Primat des
Handelns, dem sich der Geist anzuschließen habe, war unzweifelhaft ein zentrales
Moment des Nationalsozialismus, wenn Chefideologe Alfred Rosenberg auf Goethes
Wort »Was fruchtbar ist, allein ist wahr« rekurriert, um hieraus das völkische
»Wesen alles Organischen« zu spinnen. Nun könnten boshaft veranlagte Exegeten
darin die faschistoide Eignung des Goethe-Spruchs erkennen oder zumindest ein
aktionistisches Ressentiment gegen die angeblich blutleere Theorie der
»Kathederphilosophie« daraus entwickeln, wenn man nicht - beunruhigend genug -
wüsste, dass dieser markig vitalistische Sinnspruch auch im Pragmatismus mit
einiger Prominenz erscheint. Philosophieren heißt also auch jenseits der »Eigentlichkeit«
nicht alles zum Brei der Denkungsarten zusammenzurühren, um damit das Denken
selbst als Handwerk der Beliebigkeit zu desavouieren, für das es
Nichtphilosophen zumeist ohnehin halten.
Also sprach Heidegger…
Die mythomanischen Überbietungen des real existierenden Nationalsozialismus, wie
sie sich etwa in Heinrich Himmlers okkultistischen Fantasien und anderer »Thule«-Gesellschafter
finden, waren keine integralen Voraussetzungen der offiziellen Politik. Der
Nationalsozialismus war in seiner politischen Programmatik effizienter als
diverse rassistische Bewegungen und Lehren, weil er ein viel direkteres
Verhältnis zur Macht und ihrer medialen Verbreitung unterhielt als
Obskurantisten, die sich auf ihr jeweiliges Sekten-Dasein beschieden. Dieses
Pathos der menschenverachtenden Weltdurchdringung ist keine Erfindung
Heideggers, sondern war in Nietzsches narzisstischen Trockenübungen zum
Übermenschen-Dasein gut greifbar, wenn er vereinsamt und halb blind durch die
Bergwelten von Sils Maria stapfte und dabei martialische, aber keinesfalls
antisemitische Szenarien projizierte. Von Hyperboreern bis hin zu blonden
Bestien ging es jederzeit um Gegenentwürfe zur eigenen Existenz, die sich
allerdings nie in völkischen Gemeinschaften, die sich später mit der
Zwangseingemeindung Nietzsches zu nobilitieren versuchten, erfüllt hätten.
Nietzsches Spießgesellen sind eine Diskursgesellschaft der Denkfiguren.
Es ist eine illegitime Geschichtsschreibung, vor der oft gewarnt wurde und die
auf Faye zurückfällt, Ideen politisch teleologisch zu unterfüttern, um sie in
der jeweiligen Katastrophe kulminieren zu lassen und ihre Vertreter dann »für
immer ehrlos« zu erklären. Jean-Jacques Rousseau fand in Maximilien Marie
Isidore de Robespierre einen sehr aufmerksamen und politisch äußerst effizient
agierenden Leser, was den Glauben begründen hilft, hier einen der
unmittelbarsten und fatalsten Fälle des Einflusses der Philosophie auf die
Politik und das ihr folgende Fallbeil zu erleben. Karl Marx und Friedrich Engels
kann man ohne größeren Interpretationsaufwand eine politische Wirkungsgeschichte
zuschreiben, die nicht dadurch schon entschärft wird, weil wir ihnen zugleich
attestieren, von ihren Adepten wider den Strich gebürstet worden zu sein. Denn
die bereits nicht mehr taufrische Frage, ob nicht diese Art des Denkens die
Gulags und sozialistischen Massaker aller Art begründet hat, verflüchtigt sich
auch beim zweiten Zusehen immer noch nicht. Der Terror des Menschen gegen den
Menschen, seine wölfische Bereitschaft über den Nächsten und schon immer über
den Fernsten herzufallen, ist andererseits ein erstaunlich begründungsfreies
Verhalten, das Thomas Hobbes zu einigen, längst nicht obsoleten Behauptungen
über die Menschennatur veranlasste. Ist Martin Heidegger wirklich der schlimmste
Fall eines Denkers, der die Köpfe infizierte und den Begriff der
»Philosophenherrschaft« auf den ultimativen Höhepunkt des Schreckens trieb?
Die Macht gibt seit je gefährliche Parolen aus, die nicht nur in der Gefahr
suchenden Begriffswelt der Heideggerschen Philosophie Sinn machen, weil sie tief
liegende, eroto-thanatoide Wunschebenen des Menschen mobilisieren und für
Kriegszwecke instrumentalisieren. Sie werden im publikumswirksamen Sprachlabor
Heideggers entfaltet, verändert und »tiefer gelegt« an die Macht zurückgegeben,
so wenig Fayes Untersuchung nun entscheidenden Aufschluss gibt, ob Heideggers
Nazifizierung für das Machtgeschäft je mehr war als die philo- faschistische
Begleitmusik eines von Theoriefeinheiten im Übrigen unbeeindruckten Regimes.
Heidegger ist nämlich nicht zum Staatsphilosophen avanciert, wenn das denn je
eine vakante Stelle gewesen sein sollte für eine Herrschaft, die auf sinnliche
und nicht argumentative Überwältigung zielte. Rüdiger Safranski hat in seiner
biografisch sehr überzeugenden Studie »Ein Meister aus Deutschland« nicht nur
Heideggers Entfernung aus dem relativen Machtzentrum des Rektorats dargelegt,
sondern auch die Grenzen der Akzeptanz durch das NS-Regime. Reicht das nun, wie
es Faye in seinem Fazit tut, zu konstatieren: »Denn das Denken hat die
Verbrechen vorbereitet.« Heidegger war nicht der Steigbügelhalter »seines«
Führers, dessen »philosophische« Vorbereitung in Wien auf das spätere
Diktatoren-Dasein längst abgeschlossen war und auf Verfeinerungen nicht
angewiesen war. Theorie für Weltherrscher war in jenen Tagen so wohlfeil wie das
Leben im Übrigen erbärmlich.
In »Arische Weltanschauung« fantasierte Houston Stewart Chamberlain, rund
zwanzig Jahre vor »Sein und Zeit«, fundamentalistisch über eine faschistische
Zukunft: »Wie sollen wir in diesem durchaus berechtigten, ja heiligen Kampf -
dem Kampf um das eigene Dasein - bestehen? Erstens, indem wir die Notwendigkeit
des Kampfes einsehen lernen, zweitens, indem wir uns auf unsere Eigenart
besinnen und sie dadurch vollkommen bewusst erfassen. Ein ganzes Jahrhundert
haben wir der Marotte einer unbeschränkten Toleranz geopfert…« Hitlers Lektüre
als Machtvorbereitung sollen unter anderem auch Texte des »Ariosophen« Jörg Lanz
von Liebenfels gewesen sein, der nicht nur das Kampfparadigma predigte, sondern
so delirierend wie zukunftsgläubig vom überirdischen Ursprung der »arioheroischen«
Rasse zu reden wusste. 1916 präsentiert er eine - offensichtlich vor Heideggers
mitunter starkdeutschem Seinsgebräu längst geläufige - Idee: Die neueste
Philosophie stünde unter dem Einfluss der im 19. Jahrhundert aufblühenden
Spezialwissenschaften. Nun gälte es, das alles zu vereinigen und auf die »ariosophische
Basis« zurückzuführen, was nichts anderes bezeichnete als das Plädoyer für
rassistisches Einheitsdenken mit massiven Ressentiments gegen alles »Nichtarische«.
Der Terror des Meisterdenkers
»Der und der Andere haben sich gegenseitig erfunden.« (Günter Grass, Hundejahre,
zu Heidegger und Hitler) Solche Kausalitätsanmutungen zwischen Philosophie und
Politik bleiben der Dichtung vorbehalten, was einigen unverzagten Aufklärern die
Übersichtlichkeit der Verhältnisse verhageln mag. Wer Wirkungsgeschichten mit
der Option induktiver Plausibilität, also Zukunftstauglichkeit, nachgehen will,
gerät schnell in den Begründungsregress, was die höchst kontroverse Aufnahme von
Fayes Untersuchung auch durch unverdächtige Leser dokumentiert. Dass die
deutschen Meisterdenker zuständig für Totalitarismen bis hin zu den
Konzentrationslagern sind, ist spätestens seit André Glucksmann ein Gemeinplatz.
Glucksmann argumentiert in »Les Maîtres Penseurs« aber gerade nicht »ad hominem«,
weil er die ideengeschichtlichen Zusammenhänge und nicht lediglich ihre
Repräsentationen erfassen bzw. textualisieren will: »Das ‚Deutschland',
Geburtstätte der faschistischen Bewegungen, ist kein Territorium, keine
Bevölkerung, sondern ein Text und ein Verhältnis zu Texten, die lange vor Hitler
aufgestellt und weit über die alten Grenzen des Heiligen Römischen Reiches
Deutscher Nation verbreitet wurden. Dieses Deutschland ist ganz zeitgemäß, es
hat seinen Sitz in den modernen Köpfen des modernen Planeten, im Pentagon zu
Washington ebenso wie in dem letzten Loch eines Konzentrationslagers in den
Dörfern Kambodschas.« Diese mentalitätsgeschichtliche, von chronologischen
Vordergründigkeiten unabhängige Verkettung birgt indes eine eigene Dialektik.
Denn wenn doch »irgendwie« alles mit allem zusammenhängt bzw. deutsches Wesen so
transgressive Züge besitzt, wie sie Wilhelm II. nicht kühner ersonnen hätte,
gerade dann wird Schuld als Kategorie so fragil wie flüchtig. Das mögen einige
Täter als »Persilschein« nutzen, doch vielleicht ist das der Preis, Strukturen
und Wirkungszusammenhänge zu fokussieren, um den schrecklichen Vereinfachungen,
wie sie etwa das dissoziierende Ordnungsdenken a la Carl Schmitt präsentiert, zu
entraten.
Politik ist flexibel in ihren ideologischen Zurüstungen, das kann man bequem an
den neokonservativen Anverwandlungen der jüngsten Politik ablesen, die zur
Doktrin des amerikanischen Internationalismus zwischen Kabul und Bagdad
aufschloss. Was nicht passt, wird passend gemacht, und wehe, wenn die
Wirklichkeit sich dann noch widerständig geriert. Kriege sind schlechter Theorie
darin verwandt, ein Prokrustesbett der Wirklichkeit zu sein. Philosophie ist
nicht nur hier als Politikberater von zweifelhafter Wirksamkeit, ungeachtet der
Frage, ob das nun dem falschen Verständnis der Herrscher oder der Philosophen
geschuldet sein mag. Hitler war, wie die luzide Untersuchung von Brigitte Hamann
»Hitlers Wien: Lehrjahre eines Diktators« zeigt, in seiner ideologischen
Konfiguration biegsamer als diverse Zeitgenossen, was eben die Transformation
der »Weltanschauung« in faschistische Realpolitik einfacher macht. Gerade bei
Heidegger sind dessen eigenwillige, narzisstisch inszenierte Semantik und
Methode zugleich der Ballast für die Transformation in Politik, die zwar
Apologeten braucht, aber kaum je Hardcore-Philosophie. Dass nun der Ideologie
nach jeder »Trommler« seinen je spezifischen Platz im »völkischen Ganzen«
einnimmt, ändert nichts daran, dass der Nationalsozialismus nicht auf die
ideologische Rückversicherung durch Philosophie angewiesen war. Diskussionen wie
die vorliegende leiden an ihren von allen Seiten unterstellten
Wirkungsgeschichten, was denn vollends fatal gerät, wenn die düsteren
Prophezeiungen für die Zukunft gleich mitgeliefert werden. Dass Kausalitäten und
Schuldzuweisungen nicht ausreichend Wirklichkeit beschreiben, wenn nicht sogar
Theorie eine tückische Form der Wirklichkeitsverfehlung sein könnte, das alles
hat sich in der Philosophie nicht ausreichend herum gesprochen. Dass nun das
wuchernde Gesamtwerk Heideggers als Tumor der Zukunft den Terror in den Köpfen
erneut entfachen will, ist so plausibel wie die weiland von einigen
Kunsthistorikern vertretene Auffassung, die kitschige Fascho-Malerei im Haus der
Kunst müsse auf bis auf Weiteres verhüllt bleiben, weil sich der pigmentstarke
Faschismus gleichsam medusenhaft auf das Auge des unbedarften Betrachters lege
und ihn irreversibel in Bann schlage. Solche Kritiker übersehen, dass man heute
etwa auf »Youtube« und anderenorts Hitlerparodien erlebt, die eben jenes
massenpsychologisch taugliche Pathos nur ungefiltert präsentieren müssen, weil
es in völlig veränderten Rezeptionszusammenhängen bereits so grotesk wirkt wie
eben der chaplineske »Große Diktator«.
Insofern entfaltet sich Heideggers Philosophie auch jenseits seiner politischen
Vergangenheit, ohne die von Faye teilweise zum ersten Mal aufgezeigten
Konsonanzen zwischen seinen Themen und den nationalsozialistischen Parolen
ignorieren zu müssen. Diese unabgeschlossene Geschichte des Ein- und
Ausschlusses nationalsozialistischer Ideologeme im Heideggerschen Denken ist
selbst ein deutsches Symptom. »Heidegger-Apologetik ist philosophischer
Volkssport, nicht nur in Deutschland.« (Frank Madro) Nun ist Heidegger-Bashing
aber mindestens ebenso beliebt, weil es eine scheinbar so leicht zugängliche
Hintertreppe zu dieser Philosophie und ihrer allfälligen Demontage eröffnet.
Heidegger selbst hat sich seine Generalabsolution gleichfalls gut zu Recht
gelegt, etwa mit diesem Zitat von Paul Valery: '«Wer das Denken nicht angreifen
kann, greift den Denkenden an.« Das Rektorat hat Heidegger gegenüber Heinrich W.
Petzet als »die größte Dummheit meines Lebens« bezeichnet, was dann aber eher
für die persönliche Frustration als für ein schlechtes Gewissen spricht.
Heideggers »Nubbelisierung« als exegetische Schwäche
Überheblichkeit liegt in dem Glauben, dass die philosophische Theorie der
politischen Praxis vorgelagert sei, was das Ursprungs- und Wesensdenken, die
Rede von der ersten Philosophie und anderen ex-ovo-Fantasmen fördert. Solche
unabschließbaren Diskurse über den Faschismus-Gehalt Heideggerschen Denkens
zeigen, dass ein Apriori diverser Diskursteilnehmer nicht funktioniert. Der
Faschismus ist kein lediglich historisches Phänomen, auch nicht eine ideologisch
geschlossene, sezierbare Wirklichkeit, die leichte Abgrenzungsoptionen für
Gutmenschen und Antifa bietet. »Der deutsche Leser hat nun die Möglichkeit, eine
Debatte kritisch zu beurteilen, deren Ende nicht absehbar ist«, freut sich der
Matthes & Seitz Verlag - dem wir es gönnen, weil sein Angebot doch im
deutschsprachigen Raum von herausragender Qualität ist. Doch die Frage bleibt
jetzt erst recht offen, warum diese Debatte sich nicht legen will. Wie immer bei
solchen Endlos-Streitereien erfährt man mindestens so viel über die Streitenden
wie über das Thema selbst. Es ist der projektive Gestus, der stört, die
Fertigung eines höchstpersönlichen Heideggers, der dann wie der rheinische »Nubbel«
so gnaden- wie letztlich auch folgenlos büßen muss, um in der nächsten Saison
wieder zur Verfügung zu stehen. »Faye verfährt durchgängig nach einem Schema,
das der Heidegger-Spezialist Theodore Kisiel einmal als ‘guilt by association’
bezeichnet hat« erläuterte Thomas Meyer 2005 zum Zeitpunkt des Erscheinens des
französischen Originals in der »Zeit«. Glucksmann kommt der Verdienst zu, die
Noxen des Denkens in ihrer fatalen Wirkung auf die Politik komplexer und daher
radikaler formuliert zu haben, als wir es nun in Heideggers Abstrafung durch
Faye erleben. Ohnehin wurden diese Vorschläge der Entsorgung Martin Heideggers
aus dem Hain der Philosophie nicht zu Ende gedacht, wenn etwa Studenten auf den
Spuren Derridas, Foucaults oder Sartres auf die unvollständige »damnatio
memoriae« Heideggers stoßen würden, ohne ihn noch philosophisch lesen zu dürfen.
Die Freiheit von Lehre und Forschung kann damit nicht gemeint sein.
»In dubio contra reo«
Nun muss man auf Fayes engagierte Darstellung des Themas hin nicht selbst in
einen kassandrischen Erregungs- oder Inquisitionsmodus verfallen, weil diese
Recherche ein lesenswerter Beitrag ist, der in vielen historischen Feinheiten
überzeugt, ohne dass die Konklusionen dadurch konsensfähig wären oder gar zu
werden versprechen. Faye versagt allein in der relativen Obsessivität seiner
Anklageschrift, weil er in diversen Begründungssträngen dem Prinzip »in dubio
contra reo« folgt. Ein Beispiel: Georg Jellinek (1851 - 1911) entwickelte die
heute noch an deutschen Universitäten gelehrte, rechtspositivistische »Drei
Elementen Lehre«, derzufolge die drei konstituierenden Elemente »das
Staatsgebiet, das Staatsvolk und die Staatsgewalt« zusammenkommen müssen, um den
Begriff des Staates zu begründen: »Der Staat ist die mit ursprünglicher
Herrschermacht ausgestattete Verbandseinheit sesshafter Menschen.« »Ein
Personenverband ohne räumliche Verwurzelung, etwa ein Nomadenstamm, oder,
zeitgemäßer, ein weltweit tätiges Wirtschaftsunternehmen können ohne Rücksicht
auf die Zahl der ihnen angehörenden Menschen, ohne Rücksicht auf ihre Zwecke und
auf ihre Macht wegen des fehlenden Raumbezuges kein Staat sein«, interpretiert
das - völlig unverdächtig und wohl consensus omnium - der Verfassungsrechtler
Heintzen im Jahre 2005. Martin Heidegger spricht in einer von Faye massiv
inkriminierten Stelle das Buch von Hans Grimm »Volk ohne Raum« an: »Wenn wir
darunter Lebensraum verstehen, so ist damit zweifellos zuviel gesagt. Man könnte
vielleicht sagen: Volk ohne genügenden, ohne ausreichenden Lebensraum zu seiner
positiven Entfaltung. Wir müssen immer wissen, dass zum Volk in seinem
Konkretsein notwendig der Raum hinzugehört, dass es ein »Volk ohne Raum« im
wörtlichsten Sinne gar nicht gibt.« Hier nun schäumt Faye, Heidegger habe Grimm
noch übertroffen. Wer so wie Faye lesen will, kann also diesem Text das
»Unternehmen Barbarossa« scheinbar mühelos entwinden, obwohl Heidegger eine
tastende Sprache mit den Termini »vielleicht, könnte« wählt. Insbesondere aber
die von Faye zitierte Schlussfolgerung - jedenfalls in ihrer konkret
vorliegenden Textform - wird entdiabolisiert, wenn sie auf die vorangestellte
Jellineksche Basisdefinition des Staates zurückgeführt wird. Allein wenn
Interpreten ihrer konnotativen Willfährigkeit freien Lauf lassen, ist das
spätere Eroberungsprogramm Hitlers in nuce bereits darin enthalten. Der
historische Erklärungswert reicht dann bis zur Erbsünde, was viel Kraft und noch
mehr Ignoranz voraussetzt, um diese Schuld zu ertragen.
Terrortexte für das Oberseminar Wäre Heideggers Philosophie durch und durch faschistisch bzw.
nationalsozialistisch, und das erklärt uns Faye in durchweg redundanter Weise,
wäre die Anziehungskraft dieser Philosophie schlecht erklärt. Wir müssten zudem
glauben, dass alle jene, die sich auf Heidegger berufen, wenigstens latent
selbst vom nationalsozialistischen Virus erfasst sind. Wir wären auch gefordert,
die faschistischen Momente der platonischen und aristotelischen Philosophie zu
untersuchen und überhaupt die aller Meisterdenker, denn diese Verbindungslinien
wären kein Einbildungsüberschuss unreifer Adepten, wenn man Fayes
Kontaminationsmethode erst einmal akzeptiert. »Die Meisterdenker strecken vor
dem Rassismus die Waffen.« Gäben wir Glucksmann darin Recht, wäre Philosophie in
weiten Teilen politisch kopfloses Denken.
In der vorliegenden Untersuchung wird ausgeblendet, dass Heidegger auch nach
klassischen Kriterien ein herausragender Exeget philosophischer Texte gewesen
ist, dessen Gesamtwerk nicht nur aus ideologietauglichen Stellen besteht, die
man dann mutwillig zum Nazi-Subtext zusammenklittert. Auch ohne »furia francese«
wäre genug übrig geblieben, Heidegger als schrecklichen Philosophen (zum
wiederholten Male) zu outen. Perhorreszierung ist dagegen kein Analyseersatz. Es
ist ein Ammenmärchen zu glauben, dass der faschistische Gehalt Heideggers nun
als Sprengsatz der Gesamtausgabe darauf wartet, in spätmodernen Gesellschaften
zu detonieren. Diese Kritik gegen die Herausgeber, die auch die inkriminierten
Texte edieren, ist bereits deshalb nicht akzeptabel, weil anderenfalls die
Ausgabe dem Vorwurf ausgesetzt gewesen wäre, »ad usum delphini« zu erscheinen.
Denn gleichzeitig kritisiert Faye, dass die Manuskripte noch immer nur von
einigen Apologeten kontrolliert würden. Wenn er als Antidot empfiehlt, die
Gesamtausgabe aus den Regalen der philosophischen Bibliotheken in die der
Geschichte des Nationalsozialismus zu verräumen, müsste ihm spätestens hier
einleuchten, wie töricht diese grollende Giftschrankpolitik ist. Letztlich
beweist die Heidegger-Rezeption, dass sich jeder seinen eigenen kleinen oder
großen Heidegger konfiguriert, ohne dass die faschistischen Lesarten
zugänglichen Passagen nun wie ein Gift mit ewiger Haltbarkeit die Milch der
frommen Denkungsart verderben. Philosophieren lernen, und das hat Heidegger
sintemal betont, wenn auch vielleicht nicht jederzeit als Lehrstuhlinhaber
praktiziert, heißt, sich von der Hypostasierung von Gedanken freizumachen.
Zukunft des Faschismus Wahrscheinlich braucht es Philosophen, um an die Gefährlichkeit der
Philosophie zu glauben. Der Faschismus war ideologisch zuallerletzt wählerisch
und benötigte nie anspruchsvolle Apologeten, die ihm theoretisch gehaltvoll
zurüsteten, was er nicht aus eigener Willkür vermocht hätte. Diese Plastizität
der Macht, die Ignoranz gegenüber der Theorie, die Wurstigkeit gegenüber dem
Anspruch auf Wahrheit sind der wahre Stein des Anstoßes, der Philosophen, die
gelernt haben, Auffassungen abzuwägen, zu begründen und endlos hin und her zu
wenden, provozieren muss. Eine Zumutung für Philosophen sind Sprachspiele, die
im Blick auf ihre öffentliche Wirksamkeit gewählt werden und daher den
klassischen Wahrheitsanspruch nur als Zerrform ihres öffentlichen Auftretens
kennen. Heidegger und seine Kategorisierung diesseits oder jenseits des
Nationalsozialismus ist das kleinere Problem gegenüber dem unbotmäßigen
Macht-Apriori. Der von Heidegger in sein Denken aufgenommene Führer sah, völlig
im Einklang mit der Erkenntnissen der Massenpsychologie, das Objekt seiner
rhetorischen Bemühungen »weniger durch Gründe abstrakter Vernunft bestimmt … als
durch solche einer undefinierbaren, gefühlsmäßigen Sehnsucht nach ergänzender
Kraft.« Auch Heidegger glaubte, sich von Zwängen der logischen Argumentation
befreien zu können, weil es vermeintlich höhere Regeln gäbe, die sich nicht
jedem erschließen und auf Ursprünge zurückgehen, die verschüttet und von ihm
freizulegen sind. Ob das nun die wahre Über-Methode des Denkens oder
gefährlicher Mythenkleister ist, sollte die philosophische Auseinandersetzung
mit seinen Texten erweisen, die offensichtlich auch für unverdächtige
Philosophen produktiver werden, als es sich Emmanuel Faye vorstellen will. Wie
erläuterte Friedrich Nietzsche den richtigen Umgang mit den zahllosen Zumutungen
für Denker, die sich nicht jederzeit auf das Königsberger Reinheitsgebot
verlassen können: »Und wer unter Menschen nicht verschmachten will, muss lernen,
aus allen Gläsern zu trinken; und wer unter Menschen rein bleiben will, muss
verstehn, sich auch mit schmutzigem Wasser zu waschen.« Goedart Palm
Emmanuel Faye Heidegger. Die Einführung des
Nationalsozialismus in die Philosophie
Traversen 5
Aus dem Französischen von Tim Trzaskalik
Matthes & Seitz Berlin
Mit einem Nachwort zur deutschen Ausgabe von Emmanuel Faye
560 Seiten, geb. mit Schutzumschlag
ISBN 978-3-88221-025-5 € 39,90 /
CHF 67,00