Glanz & Elend Magazin für Literatur und Zeitkritik




Die menschliche Komödie
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Zum 5-jährigen Bestehen ist ein großformatiger Broschurband in limitierter Auflage von 1.000 Exemplaren mit 176 Seiten, die es in sich haben:

Die menschliche Komödie als work in progress

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Die Kriminalgeschichte des roten Gespenstes

»Mit Marx hatte die Sowjetunion letztlich nur noch so viel zu tun wie Hartz IV mit August Bebel und Eduard Bernstein.«
Jürgen Nielsen-Sikora über Archie Browns neues Standardwerk über den »Aufstieg und Fall des Kommunismus«

In Anklang an Bert Brechts Mahagonny-Buch erfreuen sich Rise and Fall-Titel insbesondere in den Geisteswissenschaften großer Beleibtheit. Zu nennen sind hier Aufstieg und Fall der Moderne, des Dritten Reichs, der Zivilisationen, der großen Mächte, des Islam und des Djihad. Nicht immer ist die Wahl dieses Titels sinnvoll, aber möglicherweise verkaufsfördernd.
Im Falle von Archie Brown scheint der Titel jedoch plausibel. Denn die Geschichte des Kommunismus, die der britische Historiker auf über 900 Seiten eindrucksvoll nachzeichnet, ist in der Tat gekennzeichnet von einem langen Aufstieg seit Marxens Manifest von 1848 und einem rasanten Fall während der Ära Gorbatschow, der sich jedoch schon im Nachgang zu Chruschtschows »Geheimrede« auf dem XX. Parteitag der KPdSU 1956 und Breschnews Unterschrift unter die Schlussakte der Helsinki-Konferenz Anfang August 1975 abzeichnete. Zumindest innenpolitisch bedeuteten beide Ereignisse den Beginn der Tauwetterperiode, die schließlich Gorbatschow auch außenpolitisch fortsetzte. Durch die Reformen der 1980er Jahre sowie durch die Absage an die Breschnew-Doktrin mit der Konsequenz, dass die sozialistischen Staaten Osteuropas ihr lange schwelendes innenpolitisches Konfliktpotenzial endlich ausleben konnten, war die völlige Neuordnung der internationalen Beziehungen nicht mehr aufzuhalten und das Ende des Kalten Krieges besiegelt.

Brown schreibt zugleich eine Geschichte der Sowjetunion und eine Geschichte Osteuropas, aber auch eine Geschichte des sozialistischen Terrors, der Verfolgung, der Folter und des Mords unter dem Deckmantel kommunistischer Ideologie. Wären Inhalte und Ausgang dieser Geschichte nicht allseits bekannt, es wäre eine großartige Kriminalgeschichte. Kein Leser wird auch nur eine Seite überschlagen wollen aus Sorge, Entscheidendes zu verpassen. Jede Seite ist ein wahrer Lesegenuss. Denn Brown liefert eine fabelhafte Komposition vor allem der Ereignisse seit Stalins Machtergreifung, ein immer lesenswertes, nahezu literarisches und souverän gestaltetes Werk über rund 150 Jahre Kommunismus sowie die politischen Schaltzentrale in Moskau.
Ausgehend von Marx und dessen Absage an sozialistische Utopien der vergangenen Jahrhunderte, über Lenin, Trotzki und Stalin bis hin zu den Aufständen in der DDR, in Ungarn, Polen und der Tschechoslowakei und dem Zusammenbruch der Sowjetunion, lässt Brown in insgesamt 30 Kapiteln Ursprung und Entwicklung kommunistischer Politik Revue passieren. Schließlich sinniert er über das, was vom Kommunismus letztlich übrig geblieben ist. Im Blick hat er dabei auch stets die nichteuropäischen sozialistisch geführten Staaten wie Castros Kuba und Maos China. Deng Xiaoping, Südostasien und auch das besonders gespannte Verhältnis der UdSSR zu Jugoslawien unter Tito und zu Albanien unter Hodscha sind Thema von Browns Analyse.

Den Aufstieg kommunistischer Systeme seit Stalin leitet Brown mit einer begrifflichen Differenzierung von Marxismus, Sozialismus und Kommunismus ein. Verkürzt wiedergegeben bedeutet Marxismus die philosophische Lehre, auf der der Sozialismus, die politische Praxis dieser Philosophie, fußt. Kommunismus heißt hingegen jener Endzustand, in der das Proletariat den Sieg über seine bourgeoisen und imperialen Gegner davon getragen hat – ein Zustand, der, wie wir wissen, zum Glück nie eingetreten ist.

Was Brown also unter den Oberbegriff Kommunismus subsumiert ist die Entstehung der Marxschen Philosophie über den Leninismus hin zum Stalinismus sowie die Entstalinisierung seit Chruschtschows Angriff auf den toten Stalin im Jahre 1956, mithin den Übergang des sozialistischen Totalitarismus zur sowjetischen Oligarchie in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts.
Die Deformationen, die Marxens Philosophie dabei erlebt hat, sind jedoch nicht Thema von Browns Buch. Diese Deformation und politische Radikalisierung mitsamt seinen unmenschlichen Auswüchsen seit Lenin sollte allerdings kennen, wer Browns Buch zur Hand nimmt. Dazu nur einige wenige Randbemerkungen: Marx beklagte im 19. Jahrhundert den Verlust von Freiheit und Würde des Menschen durch die herrschenden Produktionsverhältnisse. Die menschlichen Beziehungen sah er zusehends degradiert in rein sachorientierten Arbeits- und damit verbunden Ausbeutungsverhältnissen, aus denen sich das Proletariat als jene Klasse, die unter diesen Bedingungen am meisten leide, zu befreien habe. Natürlich ging damit ein gewisser Totalitätsanspruch der eigenen Weltanschauung einher, weil alle menschliche Tätigkeit als von Macht- und Klassengegensätzen durchdrungen interpretiert wurde. Alles Denken stand somit im Dienste des Klassenkampfes, was auf Marx eigene Philosophie zurückschlug und sie, zu Ende gedacht, relativierte. Dem begegnete Marx mit der Doktrin vom wahren und falschen Klassenbewusstsein, deren Erkenntnis in einer sozialen Revolution und der Vollendung der Geschichte münden würde. Marx ging also von der Überwindung der ungerechtfertigten Klassengegensätze aus, die ihm die Legitimationsgrundlage seiner politischen Mission bildete.
Lenin hingegen verengte Marx Philosophie bereits dahingehend, dass er die Revolution des Proletariats zu einer Diktatur einer proletarischen Einheitspartei umdichtete. Der Weg von der bloßen Ideologie, d.h. der philosophischen Theorie zur politischen Praxis war damit geebnet. Es bedurfte nun professioneller Revolutionäre, die den politischen Erfolg dieser Ideologie sicherzustellen vermochten. Diese Elite bildeten seit der Oktoberrevolution die Bolschewiki, die zur Herausbildung eines klassenbewussten Proletariats die Partei organisieren mussten.

Der Unterschied zwischen Marx und Lenin ist offensichtlich: Bei Marx ist es das Proletariat als Klasse, bei Lenin die organisierte proletarische Partei, die den Einparteienstaat legitimieren und den Umsturz herbeiführen soll. Nur wer diese Deformierung der Marxschen Ideologie mitträgt, kann in der sowjetischen Politik den logischen und rechtmäßigen Nachfolger von Marx und Engels erblicken.
Doch die Deformierung ging schließlich weiter. Hatte ein Denken in Nationalkategorien bei Lenin noch keinen Platz, so war es Stalin, der zunächst, ehe er ihn liquidieren ließ, Trotzki und dessen Lehre von der permanenten Revolution rezipierte. Stalin glaubte, dass die sozialistische Revolution in nur einem Staat möglich ist. Er kreierte also ein weiteres Dogma, für das weder Marx noch Lenin etwas übrig hatten. Darüber hinaus trieb er die Organisation der Partei weiter voran: Fünfjahrespläne, Industrialisierung, das berüchtigte Stachanow-System, die Kollektivierung der Landwirtschaft und den sowjetischen Nationalismus, geprägt durch die »Russifizierung« anderer Völker der Sowjetunion. Nicht zuletzt war es der Ausbau der von Lenin geschaffenen Gulags inklusive der Unterdrückung großer Teile des Sowjetvolks, der Verfolgung, der Folter, des Mords und der Deportationen, die die kommunistische Idee letztlich vollends pervertieren. Iring Fetscher schrieb bereits vor einem halben Jahrhundert: »Die Kommunistische Partei ist das konkret gewordene Selbstbewusstsein der geschichtlichen Rolle des Proletariats und Stalin höchstes Vollzugsorgan dieser Partei.«

Dachte Marx noch an eine soziale Revolution als Mittel gegen das Massenelend, so ist es Stalin, der das Massenelend in Osteuropa allererst geschaffen hat. Dazu nochmals Fetscher: »Statt den 'ganzen' und heilen Menschen wiederherzustellen, wovon Marx träumte, hat man eine allumfassende Weltanschauung entworfen, in der die Menschen eine ideologische Beruhigung finden sollten.«
Doch genau diese Beruhigung konnten sie unter Stalin und den Seinen nie finden, wie uns spätestens seit Anne Applebaums Buch über die Gulags klar sein muss. Selten sind die menschenverachtenden Repressionen und der rote Terror so eindringlich geschildert worden wie in diesem erschütternden Buch, das dem Leser Tränen in die Augen treibt angesichts der Gräueltaten des stalinistischen Systems.
Das aber ist nicht in erster Linie Browns Thema. Sein Buch handelt vielmehr von den Machtspielen und Machtkämpfen des ZK und des Politbüros. Es geht um die Auseinandersetzungen zwischen Stalin, Trotzki und Kirow, zwischen Beria, Chruschtschow, Molotow und Kaganowitsch.

Die politische Willensbildung lag während all dieser Machtkämpfe stets nur in den Händen Weniger. Deren autoritäre und totalitäre Mechanismen der Machtausübung prägten das kommunistische System. Durch Lenin, aber besonders durch Stalin erfuhr Marxens Philosophie ihre größten Manipulationen zur Aufrechterhaltung der Macht. Mit Marx hatte die Sowjetunion letztlich nur noch so viel zu tun wie Hartz IV mit August Bebel und Eduard Bernstein. Für Lenin und insbesondere für Stalin diente Marxens Theorie allenthalben der Stabilisierung des Herrschaftsanspruchs einer menschenverachtenden politischen Elite, die keine Gewaltenteilung, keine Wahlverfahren, keine Kontrolle der Herrschaft durch das Volk kannte. Viel zu lange wurde dieses System von Stalins paranoider Angst vor Konkurrenten geprägt. Die Moskauer Schauprozesse, die jüngst Karl Schlögel in »Traum und Terror« so eindruckvoll nachgezeichnet hat, sind nur eine schreckliche Nebenwirkung dieser Paranoia gewesen. Sie brachte letzten Endes zwischen 1929 und 1953 rund 18 Millionen Menschen in die Gulags, von denen rund viereinhalb Millionen niemals wieder nach Hause kamen. Mit Überwindung von Klassengegensätzen und der Errichtung einer klassenlosen Gesellschaft hatte dies schon lange nichts mehr zu tun. Es ging einzig noch um das Wohl einer kleinen Parteiclique, die das Volk über Jahrzehnte hinweg gnadenlos unterdrückte, nicht nur in der Sowjetunion, sondern auch in Polen, der CSSR, der DDR und anderen osteuropäischen Staaten. Folter, Mord und Unterdrückung sind aber nicht nur Kennzeichen kommunistischer Staaten. Wer das Schicksal der heutigen Gefangenenlager jenseits des Rechtsstaats oder die Schicksale von Anna Politkowskaja und Stanislaw Markelow kennt, weiß, wovon ich spreche.

Zu all diesen oftmals sehr undurchsichtigen und verschlungenen Pfaden politischer Perversionen bietet Archie Browns voluminöses Werk eine exzellente Hinführung. Seine Stärke liegt in der Zusammenschau, weniger in der Aufdeckung neuer Tatsachen. Aber gerade dies ist es, was das Buch zur Pflichtlektüre macht! Jürgen Nielsen-Sikora

Archie Brown
Aufstieg und Fall des Kommunismus
Aus dem Englischen von Thomas Pfeiffer, Norbert Juraschitz, Stephan Gebauer, Hainer Kober
Propyläen Verlag
944 Seiten, € 29,90 [D]
€ 29,90 [D], € 30,80 [A], sFr 49,90
ISBN 9783549072936


 


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