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Das größte Operndrama von allen
ist die Hinrichtung eines Menschen

Stefan Möller über Mo Yans Roman
»Die Sandelholzstrafe«

Es ist ein untergehendes Imperium, in dem Mo Yans epischer Roman „Die Sandelholzstrafe“ angesiedelt ist. Das 20. Jahrhundert steht vor der Tür und die Qing-Dynastie, seit dem 17. Jahrhundert Herrscher über China, ist innenpolitisch zum Spielball der westlichen und japanischen Kolonialmächte geworden. Erstarrt in überholten Ritualen erweist sich die Dynastie als unfähig, sich selbst zu reformieren. Die Kolonialmächte haben Kaiserinwitwe Cixi umfangreiche Rechte abgerungen. In der Provinz Shandong bauen deutsche Ingenieure und chinesische Kulis eine Eisenbahnstrecke, deren Verlauf nahe der Provinzstadt Gaomi, Heimat von Mo Yan und Handlungsort der meisten seiner Romane, durch die Ruhestätten der Ahnen führen soll. Vor dieser historischen Kulisse setzt die Handlung ein. Der Begriff Kulisse ist nicht nur im übertragenen Sinn anzuwenden. Yans Roman orientiert sich im Aufbau an der Katzenoper, einer traditionellen, volkstümlichen Opernform. Im Nachwort stellt der Autor den prägenden Einfluss der Katzenoper auf sein Schreiben heraus. Bereits in jungen Jahren verfasste er eine Oper in neun Akten, die den Titel des Romans trägt und aus der einzelne Passagen den Kapiteln vorangestellt sind.
Die Geschichte basiert auf einem (historischen?) Stoff, der bereits zum Zeitpunkt der Romanhandlung Einzug in die Volksoper fand.
„Die Sandelholzstrafe“ ist Gesellschaftspanorama und tragisch-komische Familiengeschichte. Als Hauptpersonen treten auf:
Meiniang, Tochter von Sun Bing, verheiratet mit Xiaojia, hat eine heftige Affäre mit Qian Ding
Zhao Jia, Vater von Xiaojia, vormals Henker am kaiserlichen Hof in Peking
Xiaojia, Schweine- und Hundemetzger, geistig verwirrt
Sun Bing, Vater von Meiniang, Erneuerer der Katzenoper
Qian Ding, Präfekt der Provinz

Gleich zu Beginn offenbart Meiniang dem Leser, dass sie am Ende des Romans ihren Schwiegervater Zhao Jia töten wird. Der Alte ist ein Meister seiner Profession, als Henker am Kaiserhof hatte er die Kunst der Hinrichtung perfektioniert. Einen letzten Auftrag bekommt er, nachdem Sun Bing die Schändung und Ermordung seiner Frau und Kinder bei einem durch deutsche Soldaten vollführten Massaker rächte. Sun Bing wird zum Anführer einer Rebellentruppe, die das Lager der Eisenbahnerbauer angriff. Er wird gefasst und zum Tode verurteilt. Um ein Exempel zu statuieren, soll sich seine Hinrichtung über fünf Tage hinziehen, pünktlich zur Eröffnung der Linie soll Sun Bing sterben. Zhao Jia wählt die Sandelholzstrafe aus, in deren Verlauf ein Sandelholzstab quer durch den ganzen Körper des Verurteilten getrieben wird, ohne den sofortigen Tod zu verursachen.

Der Roman ist in drei Teile gegliedert. Im ersten und dritten Teil wird das Geschehen durch die handelnden Figuren erzählt, im mittleren Teil kommt ein Erzähler zu Wort, der in der 3. Person spricht. Die Handlung wird nicht chronologisch erzählt, in Vorgriffen und Rückblenden erschließt sich das Geschehen nach und nach. Beeindruckend ist die kunstvolle, sprachgewaltige Art, mit der Mo Yan den Protagonisten unverwechselbare Stimmen gibt. Vor allem die vorwitzige, frivole Meiniang und der selbstgefällige, in tradiertem Standesdünkel verharrende Zhao Jia geben ein sprachlich spannendes Kontrastpaar ab. In der Sprache erklingt auch das Volkstümliche, von Karin Betz hervorragend ins Deutsche übertragen. Es wird geflucht, geschimpft, gejammert, das Vokabular ist derb und zugleich prachtvoll. Die lustvolle Verwendung der Sprache geht einher mit detailreichen Beschreibungen von Orten und Kostümen. Dieser Detailreichtum findet sich aber auch in den Beschreibungen der Hinrichtungen. Die Grausamkeit ist immens und erinnert stellenweise an die Exzesse, die Bret Easton Ellis in „American Psycho“ zu Papier brachte. In einem Kapitel wird auf Zhao Jias Meisterwerk zurückgeblickt, die Zerstückelung in fünfhundert Teile. Auch hier darf der Verurteilte erst nach dem fünfhundertsten Schnitt sterben. Schnitt für Schnitt wird der Leser zum Zeugen der Hinrichtung und darf den Gedanken des Henkers folgen. Das mag für manchen Leser verstörend sein, ist aber mehr als bloße Lust an drastischer Gewaltdarstellung. Öffentliche Hinrichtungen waren häufig auch (in China ebenso wie in Europa) nicht nur Bestrafung, sondern theatrales Element zur Unterhaltung des Volkes. An einer Stelle schreibt Mo Yan, dass das größte Operndrama von allen die Hinrichtung eines Menschen sei. In diesem Sinn versteht sich auch Zhao Jia, als Künstler. Das ist irritierend, aber konsequent, wenn man Tradition und Form des Romans betrachtet, der auf theatralen Effekt bedacht ist. Derartige Effekte finden sich zahlreich. Es gibt Slapstickeinlagen, Maskierungen werden beschrieben, es werden Farb- und Geruchsbilder imaginiert. Die Handlung wird immer wieder durch komische Dialoge und herrlich skurrile Begebenheiten aufgelockert.
Im Nachwort betont Mo, dass er bewusst auf vormoderne Erzählformen zurückgriff, die sich dem Einfluss der westlichen Literatur entziehen.

In einer frühen Version enthielt das Buch viele Handlungselemente, die auf Wundergeschichten über die Eisenbahn basierten und damit voll von magischem Realismus waren. Dies fehlt in der endgültigen Version. Und doch verleugnet „Die Sandelholzstrafe“ den Einfluss des magischen Realismus, vor allem von Marquez’ “Hundert Jahre Einsamkeit“ nicht. Beide Romane schildern die Auswirkungen von gesellschaftlichen Umwälzungen auf eine kleine, fast abgeschlossene Welt, in der Mythen und Geister realer Bestandteil des alltäglichen Lebens sind. Auch der Romanaufbau in seiner ungeordneten Chronologie lässt Einfluss vermuten.
„Die Sandelholzstrafe“ macht es dem westlichen Leser nicht schwer, auch wenn der Autor, wieder im Nachwort, vermutet, dass der Roman nicht den Gefallen von Liebhabern westlicher Literatur, insbesondere solchen mit hochintellektuellem Anspruch finden wird. Letztlich aber sind die Themen der Literatur universell. Und Liebhaber von saftigen, gehaltvollen Romanen werden mit „Die Sandelholzstrafe“ bestens bedient.
 

Mo Yan
Die Sandelholzstrafe
Roman
Aus dem Chinesischen von Karin Betz
Insel Verlag
Gebunden,
651 Seiten
29,80 €
ISBN: 978-3-458-17446-2


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