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Die Alexander-Portnoy-Show
Philip Roths früher
Erfolgsroman Portnoys Beschwerden
ist die Basis seines Lebenswerks.
Der Titelheld Alexander Portnoy ist ein 33-jähriger Überflieger. Die Highschool beendete er als Jahrgangsbester, auf der Uni beeindruckte er seine Professoren und wurde zum Herausgeber der renommierten Rechtspublikation Columbia Law Review ernannt. Schon mit Mitte zwanzig beriet er einen Ausschuss des amerikanischen Senats, um anschließend zum stellvertretenden Gleichbehandlungskommissar der Stadt New York aufzusteigen. Man könnte mit Stolz und Dankbarkeit gefüllt auf diese Jahre zurückblicken, doch Portnoy ist von Verbitterung und körperlicher Qual zerfressen. Denn über dieser Karriere liegt der dunkle Schatten eines krankhaften Leidens, der Portnoy’schen Beschwerden. Dabei handelt es sich um eine Persönlichkeitsstörung, die von dem „anhaltenden Konflikt zwischen stark empfundenen moralischen und altruistischen Regungen mit übermäßigem sexuellem Verlangen oftmals perversen Charakters“ gekennzeichnet ist, wie der Analytiker Dr. Spielvogel in einem Aufsatz schreibt. Ursache dieses Leidens scheint eine klammernde Mutter- bzw. Eltern-Kind-Bindung zu sein. Wie dieser Dr. Spielvogel zu dieser Annahme gekommen sein könnte, beschreibt Roth in seinem knapp 300 Seiten langen Portnoy-Roman. Darin erläutert Portnoy in einer Art imaginierten Vorwegnahme der Therapie das übergriffige Verhalten seiner Mutter (sowie teilweise auch das seines Vaters). Seine unstillbare sexuelle Gier ist der rebellische Versuch Portnoys, sich von diesem Elternhaus zu lösen. Die unersättliche Geilheit ruft bei ihm einen geradezu zwanghaften Trieb hervor, so dass er es als Heranwachsender nicht von sich lassen kann. Dies führt soweit, dass er es mit einer rohen Leber treibt und im voll besetzten Linienbus neben einer eingenickten Dame onaniert. Von seinen Sexualpartnerinnen erwartete Portnoy nicht nur sexuelle Experimentierlust, sondern auch amouröse Abenteuer zu dritt oder zu viert. Von früher Kindheit an phantasiert sich Portnoy in eine Welt sexueller Erfahrungen, als wollte er allein Amerikas Prüderie zur Seite wischen und die libidinösen Erfahrungen eines ganzen Kontinents in sich vereinen. Doch auch wenn er sich und seine Gespielinnen mehr oder weniger subtil dazu zwingt, diesen Phantasien nachzugehen, findet Alexander Portnoy in seinen sexuellen Ausflügen keinerlei Befriedigung. Das eigentliche Leiden des jungen Portnoy besteht in der jüdischen Moral, die dem jungen Mann von Kindesbeinen an insbesondere von seiner Mutter eingeimpft wurde. Die moralisch-erzieherischen Diktate der Mutter an den Sohn schweben als Freud’sches Über-Ich über dem Leben und Lieben Alexander Portnoys. „Reißen Sie mich aus der Rolle des erdrückten Sohns im jüdischen Witz! Denn sie verliert doch allmählich an Reiz, mit dreiunddreißig“, fleht der ansonsten zynisch-arrogante Portnoy in seinem antizipierten therapeutischen Gespräch seinen Dr. Spielvogel an. Diese Grundkritik an der jüdischen Scheinheiligkeit macht den Roman zugleich auch zu einer typisch Roth’schen Abrechnung mit dem exaltiert anständigen Exiljudentum Amerikas. Portnoys Beschwerden ist der Ausgangspunkt der Fiktionalisierung der eigenen Biografie durch den Autor, denn Alexander Portnoy ist nur eines der zahlreichen Alter Egos des großen amerikanischen Romanciers. Portnoy folgen in späteren Romanen noch Figuren wie David Kepesh, Peter Tarnopol, Nathan Zuckermann und zuletzt auch ein fiktiver Philip Roth. Sie alle komplettieren den Reigen der literarischen Doppelgänger ihres Schöpfers. Die Provokation mit dem fiktiven Double ist eines der wesentlichen Elemente der Roth-Literatur. Es ist dieses Verwirrspiel aus Autobiografie und romanesker Fiktion, von der zahlreiche seiner Romane leben. Oft sind seine Figuren verzerrte Spiegelungen seiner selbst. Ähnlichkeiten sind gewollt, identische Abbilder streng vermieden. Lange Jahre funktionierten die Romane von Philip Roth nach dem Muster des Schreibens um die eigene Person, bis ihn diese Art des Schreibens Mitte der achtziger Jahre in eine tiefe Krise trieb. Der Amerikaner habe es satt gehabt, sich selbst „noch weiter zu fiktionalisieren“ und „Erschöpfung angesichts von Masken, Verkleidungen, Verzerrungen und Lügen“ verspürt, heißt es in Volker Hages Werkbiografie Bücher und Begegnungen. Portnoys Beschwerden ist aber auch der Beginn einer Serie zahlreicher Romane, in denen sich jüdische Intelligenzler ihre verpfuschte Existenz von der Seele plaudern. Das Buch ist aber auch Bezugspunkt im eigenen literarischen Werk, denn mit dem Sexroman Carnovsky hat Roth fiktiver Stellvertreter Nathan Zuckermann einen ähnlichen Skandalroman veröffentlicht. Dieser Spur konnte man zwar auch bisher nachgehen, doch lag mit Kai Molvigs Übersetzung aus dem Jahr 1974 eine für die heutigen aufgeklärten Verhältnisse nur mäßige Übersetzung vor. Der antiquierte Text präsentiert dem Leser die zahlreichen erotomanischen Ausführungen Portnoys meist nur in einem technisch-mechanischen Stil und muss daher an der heutigen Realität scheitern. Die Allgegenwart von Sexualität in unserer Gegenwart hat zumindest den objektiven Umgang mit der Thematik verändert. Allein mit der Verwendung des Wortes „ficken“ lockt man heute niemanden mehr hinter dem Ofen hervor. Schmitz beweist in seiner Neuübertragung Mut zum Direkten, wo Molvig Vorsicht obwalten ließ. Versuchte Letzter Portnoys unumwundene Bekenntnisse seines lasterhaften Daseins durch ihr Verstecken in Gliedsätzen und Substantivkonstruktionen abzuschwächen, lässt Schmitz sie nun in aller Explosivität in den Vordergrund treten. Ganz nach dem Motto: Wo, wenn nicht beim imaginierten Therapeuten, darf ein Alexander Portnoy grundehrlich sein. So ist es möglich, dass einst kompliziert und verquast klingende Satzkonstruktionen wie „Ich kriegte ihn im Staate Israel nicht hoch! Ganz schön schon, was die Symbolik angeht. Das soll mir mal einer nachmachen – das in dieser Weise auszuspielen!“ bei Schmitz teilweise eine geradezu spielerische Leichtigkeit annehmen und den zauberhaften Rhythmus des Roth-Sprech entfalten können: „Ich habe ihn im Staate Israel nicht hochbekommen. Wenn das keine Symbolik ist, bubi! Wenn das kein unschlagbarer Fall von Ausagieren ist!“ Im Vergleich zu den siebziger Jahren hat sich auch die Wortsemantik verändert, so dass der ein oder andere Begriff in Molvigs Text heute sein Ziel verfehlt. So kann man etwa mit dem Kapiteltitel „Votzennärrisch“ nur noch wenig anfangen. Schmitz’ Überschrift „Verrückt nach Mösen“ lässt hingegen keinen Zweifel zu – und reduziert zudem das Thema des Romans sowie Portnoys Seelenzustand auf den inhaltlichen Kern. Und auch die Tatsache, dass Schmitz den Lesern seiner Neuübertragung englischsprachige Originalzeilen zumutet, zeichnet ihn aus. Diese Chuzpe ist das zeitgemäße Zugeständnis eines Übersetzers vor dem zu übersetzenden Werk und zugleich eine Anerkennung der interkulturellen Sprachkompetenz des modernen Lesers. Portnoys Beschwerden erregte vor nunmehr 40 Jahren die Gemüter, wie zuvor nur Nabokovs Weltroman Lolita. Es wurde als obszön und vulgär aufgenommen. Nie zuvor wurde so ungeschminkt und anstandslos über Sex und Geilheit gesprochen. Wenn auch nicht jeder den provokanten Erzählstil als Mittel zum Zweck verstand, so doch zumindest die deftigen Ausdrücke Alexander Portnoys. Dieser Roman lebt weniger von seinem Inhalt als vielmehr von seiner Sprache, mit der er anzüglich, ironisch und gewitzt schier Unglaubliches erzählt. Viele Jahre mussten sich die deutschsprachigen Leser mit einer nicht mehr zeitgemäßen, fast schüchternen Übersetzung von Portnoys Beschwerden zufrieden stellen. Mit Werner Schmitz’ Neuübertragung liegt nun endlich eine moderne Fassung dieses Schlüsselromans aus dem Frühwerk von Philip Roth vor. Es ist kein anderer Alexander Portnoy, der dem Leser darin begegnet. Aber ein sehr viel authentischerer.
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