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© R. Reifenrath |
Beifang - In einer Glosse, in der, polemisch zugespitzt, der Autor den »klassischen« Gasthof als »osmotischen Ort von Geben und Nehmen« gegen reglementierte Zumutungen & wohlmeinende modische Gesundheitseinschränkungen verteidigt, finde ich die aphoristisch verknappte Behauptung: »Denken ist Arbeit, Glauben Komfort«. Der Autor Wolfgang Abel will damit pointieren, dass »Auf der Suche nach dem Guten Leben« (wie der Untertitel seines Buches »Vier Jahreszeichen« lautet), es komfortabel, will sagen: bequem & pauschalisierend ist, sich auf sein(en) Glauben zu berufen, statt sich nachdenklich jeweils aufs Neue in gedanklicher Arbeit einzulassen, um zu einem Urteil zu kommen. Der Satz »Denken ist Arbeit, Glauben Komfort« hat das Zeug zu einem Aphorismus ganz ähnlich dem Adornoschen »Es gibt kein richtiges Leben im falschen«. Gemeinsam ist beiden, dass sie ihren verführerischen Glanz einer spielerisch-lakonischen Sprachform gewinnen, indem sie aus ihrem jeweiligen gedanklichen Ambiente schlagartig hinter sich lassen. Gemeinsam ist beiden weiterhin, dass der stilistisch-literarisch-philosophische Charakter der Bücher, den sie entstammen (Glossensammlungen, deren Räsonnement sich an Alltagserfahrungen & -beobachtungen entzündet) neben dem bereits erwähnten Untertitel der »Vier Jahreszeiten« auch den Untertitel der »Minima Moralia« von Th.W.Adorno tragen könnten: »Notizen aus dem beschädigten Leben«. Und noch eine Ähnlichkeit besitzen sie: sie sind gewissermaßen nur nebensächliche Formulierungen im Verlauf einer essayistischen Überlegung & keineswegs die überraschende, gelungene Pointe oder das Resümee, auf das ihr beiden Autoren es abgesehen haben. Also gewissermaßen »Beifang«, jedoch glänzender. * Gnadenhof- Seit einiger Zeit treffen immer wieder Anfragen von Freunden ein, die für große, ja riesige Privat-Bibliotheken von verstorbenen namhaften Intellektuellen des Gutenbergzeitalters eine Zukunft suchen. Nicht selten handelt es sich teilweise oder vollständig um nahezu lückenlose Spezialbibliotheken zu den Fachgebieten der Verstorbenen. Ich erinnere mich noch gut an die Erzählung eines universitären Institutsleiters, dem die Witwe eines hochangesehenen, umfassend gebildeten Juristen dessen Bibliothek in toto anbot: als Geschenk! Er lehnte ab, musste ablehnen, weil er keinen Platz dafür in seinem Institut hatte. Auch klagte kürzlich ein weltbekannter Philosophie-Professor mir gegenüber, dass seine beiden studierenden Söhne keinerlei Interesse an seiner umfänglichen Bibliothek hätten. Was soll also mit den einst unabdingbar zu einer intellektuellen Existenz gehörenden Bibliotheken geschehen, die ja auch so etwas wie die geistige Physiognomie ihres Besitzers widerspiegeln? Selbst antiquarisch können sie derzeit en gros et en détail nicht mehr auf Interessenten, selbst unter (akademisch promovierten) Intelligenzlern, hoffen. Tierfreunde haben (nur bei uns oder heute auch in anderen Ländern?) für »in Ehren ergraute«, »ausgediente«, alte oder verletzte ehemalige »Nutztiere« die Institution des »Gnadenhofs« ins Leben gerufen, wo die dem »Schindanger« entzogenen Kühe, Hühner, Schafe etc. bis zu ihrem Tod »nutzlos« leben können. Ob man nicht heute »Gnadenhöfe für Bibliotheken« ins Auge fassen müsste, indem sie ganz & gar in jenen Aufbewahrungs-Bunkern eingelagert werden, in denen Räume für Akten, Möbel oder Bilder etc. gemietet werden können – in der Hoffnung, dass es in ferner Zukunft eine Zeit der Wiedererweckung für diese Zeugnisse des Gutenberg-Zeitalters geben wird. Und unsere späten Nachfahren auf die Bücher bewundernd blicken, wie wir heute auf das, was wir den opulent ausgestatteten Grabkammern der Alten Ägyptischen Pharaos entnommen haben? * Zeitsprünge -Sah kürzlich auf Arte Eva Hussons Film »Ein Festtag«. Es handelt sich um die erzählerisch adäquate Adaption des Romans »Mothering Sunday« von Graham Swift. Darin wird das Leben einer Waisen imaginiert, das als Dienstmädchen in einer ländlichen Upper-Class-Familie & Gesellschaft in den frühen Zwanziger Jahren sowohl eine Liebschaft mit einem Studenten aus dem Milieu ihrer Herrschaften hat, als auch in ihrem weiteren Leben zur Buchhändlerin & danach zur vielfach ausgezeichneten Schriftstellerin wird. Die Pointe des Films der französischen Regisseurin besteht darin, dass er wie der adaptierte Roman nicht chronologisch die Biografie der Heldin ausbreitet, sondern in ihren verschiedenen Lebenszeiten hin und her springend sie kaleidoskopisch aufblättert. D.h. die »Lektüren« von Buch & Film verlangen von ihrem Konsumenten aufmerksame, kombinatorische Mitarbeit, um erst am Ende – wenn die Heldin eine alleinlebende Greisin in einem Londoner Flat ist – die Lebensgeschichte der offenbar memorierenden Autorin zu überblicken & zu begreifen. Dabei hat es der Filmzuschauer schwerer, sich im Laufe der Zeit(en) zu orientieren als der Leser – obgleich beide doch mit dem gleichen ästhetischen Verfahren konfrontiert werden. Und zwar deshalb, weil ihm das Abbild der Heldin-zu-verschiedenen-Zeiten als Weberschiffchen dient, die fragmentarischen Geschichte zu einem Erzählteppich zu verweben, während der Leser die Zeitsprünge leichtfüßig meistert, weil seine Imagination der Heldin (falls er sie sich überhaupt vorstellt) gleichbleibt. Die Regisseurin hat die vier Phasen im Leben des Waisenkinds, das Schriftstellerin wird, nur zweimal mit derselben Darstellerin (veränderte Frisur & Kleidung) gearbeitet & die zwei chronologisch letzten Lebensausschnitte mit zwei anderen Darstellerinnen besetzt. Das hat erst einmal Irritationen zur Folge - bis unsere kombinatorische Phantasie den verwunderten Augenschein übertrumpft & wir die erzählerische Spielanordnung akzeptieren. Die Mehrfachbesetzung ist übrigens der pragmatischen Wirklichkeit unserer Erlebniswelt weitaus näher als die durch Schminke etc. veranstaltete »Alterung« einer darstellenden Person, die wir doch als Fake schnell durchschauen. Außerdem können wir unser Aussehen im Laufe unseres Lebens mehrfach ändern. »Ein Festtag« ist, by the way, noch durch etwas anderes solitär: durch die Selbstverständlichkeit, mit Husson weibliche & männliche (!) Nacktheit zeigt: gewissermaßen schamlos. So lange wie hier die splitternackte Hauptdarstellerin durch die holzgetäfelten Bibliotheks-Räume einer großbürgerlichen Landvilla streift, dürfte bislang kein Regisseur eine Schauspielerin dazu gebracht haben. Aber der Französin Eva Husson ist damit eine ebenso geniale wie einzigartige Sequenz in der Filmgeschichte gelungen sein, mit der die filmische Adaption die literarische Vorlage triumphal transzendiert. * Content - Kein deutschsprachiger Roman dürfte in den letzten Jahren häufiger, ja flächendeckender besprochen worden sein, als Christoph Heins in diesem Jahr erschienenes »Narrenschiff«. Nicht nur ist es das umfänglichste Buch des DDR-Dissidenten, sondern auch ein raumgreifender, zeitumspannender literarischer Nachruf auf die »Deutsche Demokratische Republik«, den »ersten sozialistischen Staat auf deutschem Boden«, wie sich das staatliche Gebilde zwischen Elbe & Oder, Rügen & Erzgebirge selbst rühmte. Weil ich wissen wollte, wie die deutschsprachige Literaturkritik in West-& Ostdeutschland auf »Das Narrenschiff« reagierte, habe ich den Suhrkamp-Verlag gebeten, mir Kopien aller Print-Rezensionen zugänglich zu machen. Ich wollte wissen, ob & wie (unterschiedlich?) das Buch in der Ex-Bundesrepublik & der Ex-DDR gelesen & beurteilt würde. Entgegen meiner Spekulation, war der Beifall für Hein, »den unbestechlichen Chronisten« (wie er mehrfach lobend charakterisiert wurde), in beiden Teilen des heutigen Deutschlands weitestgehend identisch. Die meisten heutigen Rezensenten sind womöglich zu jung, um noch selbst mit historischem Bewusstsein in einem der beiden deutschen Nachkriegsstaaten gelebt zu haben & lesen deshalb, was Christoph Hein von der Gründung bis zum Untergang der DDR erzählt, als »ein Märchen aus unvordenklichen Zeiten«. Dabei sind zumindest zwei Behauptungen Heins bislang bei uns Zeitgenossen der DDR unbekannt gewesen. Zum einen, Walter Ulbrichts langjährige Weigerung, die Oder-Neiße– Grenze anzuerkennen, weil er argumentierte, dass die deutschen Industrien überwiegend in Westdeutschland lagen & die DDR als Agrarstaat nur dann lebensfähig wäre, wenn sie Pommern & Schlesien behielte. Eine offensichtlich ebenso ökonomisch verständlicher wie staatspolitisch weitsichtiger Gedanke, den Stalin, der die Sowjetunion nach Westen erweitern wollte & deshalb Ostpolen annektierte, nicht teilte. Zum anderen aber erzählt Hein, was er von Markus Wolf erfahren hatte, dass Honecker (mit Billigung der UdSSR) durch einen klassischen, wenn auch unblutigen Putsch sich an Ulbrichts Stelle versetzt hatte. Wie sehr die DDR im öffentlichen Bewusstsein bereits verblichen ist, zeigt sich daran, dass diese beiden bislang unbekannten Fakten keinerlei Aufsehen machten oder zu Diskussionen führten.
Nach der Lektüre dieser Vielzahl von Rezensionen vor allem auch in der
Provinzpresse, brauchte man das Buch gar nicht mehr zu lesen, weil sein »content«
xmal wiedergekäut wurde. Allerdings hat sich keiner der Rezensenten &
Rezensentinnen mit der Hybrideform des Romans, also seinem Amalgam aus
historischem Sachbuch & fiktionaler Allegorie beschäftigt. D.h. als Ästhetikum
ist der Roman »Das Narrenschiff« weder wahrgenommen noch literaturkritisch
diskutiert worden. |
»Petits
riens«, |
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