Glanz & Elend Magazin für Literatur und Zeitkritik


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Die menschliche Komödie
als work in progress


Zum 5-jährigen Bestehen ist
ein großformatiger Broschurband
in limitierter Auflage von 1.000 Exemplaren
mit 176 Seiten erschienen, die es in sich haben.

 

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Ulrich Breth über die Metamorphosen des großen Rätselhaften mit 7 Songs aus der Tube

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Zum 5-jährigen Bestehen ist ein großformatiger Broschurband in limitierter Auflage von 1.000 Exemplaren mit 176 Seiten, die es in sich haben:

Die menschliche Komödie als work in progress

»Diese mühselige Arbeit an den Zügen des Menschlichen«
Zu diesem Thema haben wir Texte von Honoré de Balzac, Hannah Arendt, Fernando Pessoa, Nicolás Gómez Dávila, Stephane Mallarmé, Gert Neumann, Wassili Grossman, Dieter Leisegang, Peter Brook, Uve Schmidt, Erich Mühsam u.a., gesammelt und mit den besten Essays und Artikeln unserer Internet-Ausgabe ergänzt. Inhalt als PDF-Datei
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Herr Wu lacht
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Ein Husarenstück

Gregor Keuschnig über S.U. Barts gelungenen Schelmenroman »Goodbye Bismarck«

"Die übergreifende Verbindungslinie von 1871 und 1990, also von nationaler Vereinigung und Wiedervereinigung, fand schließlich in Hamburg ihren sinnfälligen Ausdruck in Form eines ephemeren Denkmals besonderer Art: Ein 'Kommando Heiner Geißler' aus der autonom-alternativen Szene hatte des Nachts dem Bismarck-Denkmal von Lederer einen Helmut Kohl-Kopf übergestülpt und so die deutschen Einigungskanzler zur historischer Einheit verschmolzen." Dieses Zitat stammt aus dem Aufsatz "Truppentriumph und Kaiserkult – Ephemere Inszenierungen in Hamburg" von Roland Jaeger aus dem Buch "Mo(nu)mente" (herausgegeben von Michael Diers). Jaeger nimmt Bezug auf ein wahres Ereignis: tatsächlich wurde anlässlich der Vereinigungsfeiern am 3. Oktober 1990 dem Kopf Bismarcks eine Helmut Kohl-Maske übergestülpt.
Zweifellos ein Husarenstück (das Denkmal ist über 30 Meter hoch!), hier verstanden als kurzlebiges Kunstobjekt mit politischer Intention. Es ist die Grundlage für Stephanie Barts Roman "Goodbye Bismarck" (nun ja, der Nachklang zu "Goodbye Lenin" ist wohl durchaus gewollt). Klugerweise weist die Autorin (die S. U. Bart genannt werden möchte) am Anfang darauf hin, dass es sich zwar um "nackte, sauber recherchierte Tatsachen" handele von denen sie jedoch "manche mit Macht und Bedacht verdreht habe". Und glücklicherweise sind wohl einige "Erfindungen" darunter, "die weder mit den Wahrheiten noch mit den Wirklichkeiten von damals irgendetwas zu tun haben".
Ulrich Held, Jahrgang 1954, Einzelkind aus wohlhabender Familie (der Vater ist Universitätsprofessor), verschwand nach dem Abitur erst einmal mit einem Zirkus und führt nach einigen Wirren mehr oder weniger enthusiastisch ein Fahrradgeschäft in Hamburg. Helds Schulfreund Jens Dikupp ist inzwischen nach einigem "Suchen" ein bisschen etabliert als "alternativer" Tischler (sogar mit Frau und vierjährigem Sohn). Beide werden trotz ihres einigermaßen fortgeschrittenen Alters immer noch in die (siehe oben) "autonom-alternative Szene" eingeordnet – mindestens wähnt man sie noch als Sympathisanten und im weiteren Umfeld dieser Szene, deren Helden sie nie waren und dessen heutiges Leben ihnen genau so fremd ist wie das derer, denen sie einst entfliehen wollten. So muss Jens seinem weiblichen Lehrling erklären, warum die Werkstatt auch von ihr gefegt werden muss, obwohl man daraus nicht direkt etwas lernt. Und Ulrichs Fahrradladen kann wohl nur mit versteckter Unterstützung des Elternhauses überleben, denn die nicht unbedingt kundenfreundlichen Öffnungszeiten und Ulrichs Weigerung beispielsweise batteriebetriebene Beleuchtungssysteme von Fahrrädern zu verkaufen (ökologische Gründe!) sind – um es freundlich zu formulieren – ungewöhnlich.

So ganz sind sie also noch nicht in der bürgerlichen Gesellschaft angekommen, obwohl sie längst keine Bürgerschrecks mehr sind (und es auch nie waren). Angeregt durch Jens' Schwägerin Kathrin, Studentin der Kunstgeschichte, die eine Hausarbeit über das Bismarck-Denkmal verfasst hat und in einer endlosen Suada ihre Erkenntnisse nebst einer Portion Klassenkampf zum besten gibt, kommen Ulrich und Jens an einem Frühsommertag im Mai 1990 auf eine tolle Idee: Zum sich abzeichnenden Ereignis der Wiedervereinigung kramen sie noch einmal ihren subversiven politischen Elan heraus und beschließen das Gesicht des Reichskanzlers mit einer Maske von Helmut Kohl zu verhüllen. Auf das alle die Parallelen (und Unterschiede) erkennen mögen.

"Kommando Heiner Geißler"
Der oberste Denkmalschützer Hamburgs, Erich Huld, ist, nachdem er davon in Kenntnis gesetzt wurde, durchaus ein Sympathisant der Aktion, betreibt er doch zusammen mit seiner amerikanischen Frau Helen eine (private) Dokumentation über ephemere Kunst (Archive of Ephemeral Art bzw. Archiv kurzlebiger Kunst - Kurzform: AEA/AkK), in der natürlich dieses Ereignis prächtig zu integrieren ist. Wunderbar, wie diese Figur an seinem Schreibtisch leicht dösend im Chefsessel vorgestellt wird und in einem Tagtraum noch einmal eine Kunstperformance vom 22.11.1966 von Ian Urrit rekapituliert. Alleine diese Schilderung einer sich selbst genügsamen Pseudo-Avantgarde ist herrlich.
Und nun, 24 Jahre später, im Hamburger Amt für Denkmalschutz, auf dem Schreibtisch von Erich Huld, klingelt das Telefon und Huld wird ob des Vorfalls informiert und auf dem Weg zum Denkmal geht ihm so einiges durch den Kopf: Bismarcks Macht-geht-vor-Recht-Attitüde, sein immerwährendes Liebäugeln mit dem Staatstreich. Seine sprachliche Brillanz, Schriftsteller hätte er werden sollen statt Kanzler. Kohl und die deutsche Sprache, nun ja. Wie groß und dick und machtversessen diese beiden. Bismarck, der aktionistische Macher, Kohl der Aussitzer. Die Reichsgründung: drei ohne Not geführte Kriege und die kassierte Nationalbewegung. Die Kaiserkrönung in Versailles: ein tristes Zeremoniell mit rot gefrorenen Nasen und großer Betretenheit. Die Einheit: der abgeleitete Aufstand in der DDR. Der Beitritt: eine Kindergeburtstags-Veranstaltung mit ganz viel Konfetti. Der Leser seufzt leise: Hätten doch weiland Günter Grass' Figuren aus "Ein weites Feld" wenigstens gelegentlich einen solchen Horizont besessen (aber  - andererseits: wie sollten sie auch?).    

Huld versucht mit allen legalen (beamtentechnischen) Mitteln die Beseitigung der Kohl-Maske zu verzögern (es sind dann letztlich zehn Tage), währenddessen seine Frau unendlich viele Filme des "verkohlten" Bismarck verknipst, sich als Amerikanerin tarnt und dabei Hamburger nach dem komischen Denkmal befragt und Zeitungs- und Videomitschnitte sammelt, ja sogar fiktive Antworten des Bürgermeisters auf Erich Hulds Bericht zur zügigen Beseitigung des Ärgernisses verfasst (diese jedoch – zum Bedauern des Ehemannes – nicht archiviert). Erich Huld rezensiert nahezu das "Bekennerschreiben" des Kommandos Heiner Geißler und hätte es eigentlich gerne selber – und natürlich besser – geschrieben.

In den Rückblenden: Ulrich und Jens' Vorbereitungen; alles ganz konspirativ. Niemand erfährt etwas, nicht einmal Jens' Frau oder gar Kathrin (die zwischenzeitlich einen Studentenjob bei Erich und Helen Huld angenommen hatte und ihnen bei der Archivierung und Digitalisierung des AEA/AkK hilft; mit einem tragikomischen Ende). Sie scheuen dabei vor kleineren Delikten nicht zurück. Ulrich dringt mit einem Zweitschlüssel in sein Elternhaus ein und entwendet einen Baumwollstoff (eine Erbschaft; eher Mitgift); Jens und Ulrich gießen nicht nur Blumen in Kathrins Wohnung während ihres Urlaubs sondern versorgen sich auch mit Materialien zum Bismarck-Denkmal. Es ist schon erstaunlich, wie ihnen alle möglichen Leute zugearbeitet haben, ohne es zu wissen: Der Barkeeper Magister diente ihnen als Stichwortgeber und die verreisten Reiner und Geert ["halfen"] mit ihrer Kletterausrüstung. Alles fliegt ihnen zu, sie müssen nur noch die Hände aufhalten, die Dinge zusammenbringen und ihnen dann ihre eigene Wendung geben.   
Da man damals nicht ganz genau wissen konnte, wann die Vereinigung kommt (sicher war nur, dass sie irgendwann kommt), mussten die Vorbereitungen zügig erfolgen. Jens übt das Zeichnen der "Kohl-Birne", Ulrich näht den "Sack" (…dein Sack ist echte deutsche Wertarbeit.) Und in der Nacht vom Samstag auf den Sonntag (25./26. August) verlässt Ulrich Held um 3.56 Uhr seine Wohnung. Er fährt zur Generalprobe und trifft Jens am Denkmal. Konzentriert und detailliert besteigen sie das Denkmal; alle Handgriffe sitzen. Bismarcks Blick ist hohl und leer; hinter seinen Ohren wächst Moos. Und es gefällt Ulrich ausnehmend gut, mit Jens zusammen den Bismarck bewältigt zu haben. […] Jens? – Ja? – Ich brauch noch 'n Augenblick. – Hast 'n Problem? – Nö, is schön hier.

Basteln mit Filz im Onkel Otto
Ulrich Held als Träumer – in der Ruhe liegt die Kraft. Und manchmal macht er sich einfach einen Jux, so zum Beispiel, als er sich in der Verlängerung des WM-Achtelfinalspiels Kamerun gegen Kolumbien (Jeder, der noch einen Funken Anstand im Leib hat, ist in dieser WM für Kamerun) das Fahrrad nimmt, frische Luft schnappen geht und vor dem "Onkel Otto" einbiegt. Die Bewohner der Hafenstraße und ihre Freunde sind sehr für Kamerun, obwohl auch Kamerun eine Nation ist und sie ansonsten sehr vehement gegen jede Form von Nationalismus sind. Auf ihren Hausfassaden bekennen sie sich gar zu der Parole, dass die Grenzen nicht zwischen Nationen und Völkern verliefen, sondern zwischen oben und unten. Beim Fußball ist das natürlich etwas ganz anderes, und wer das nicht versteht, dem kann man das auch nicht erklären. In der 105. Spielminute kommt Ulrich Held auf dem Treppenabsatz vor der Kneipe an. Drinnen, die Fenster sind abgedunkelt, leuchtet das Spielfeldgrün. Onkel Otto ist rappelvoll und wird gerade eben totenstill. Roger Milla ist am Ball. Die Leute halten die Luft an. Das wird was. Man spürt es. Ulrich Held vor der Tür spürt es auch und nimmt seine Fernbedienung aus der Jackentasche. Man kann gerade noch Roger Milla zum eins zu null gegen Kolumbien ansetzen sehen, aber das eins zu null selbst sieht man nicht mehr, sondern ältere Damen und Kinder beim Basteln mit Filz. Es ist der Regionalsender N3 mit einer liebevoll gemachten Reportage über die "Aktion Seniorinnen" aus Oersdorf bei Kaltenkrichen, die das Schöne mit dem Nützlichen verbinden, indem sie Kinder von berufstätigen Eltern hüten, damit sich die Kinder nicht auf der Straße herumtreiben, solange die Eltern arbeiten müssen. Was in der Folge im Onkel Otto passiert, hat eine gewisse Ähnlichkeit mit dem, was damals auf dem Politischen Aschermittwoch in Passau geschah. (Auch eine dieser Eulenspiegeleien, die eingangs erzählt wird: Beim Politischen Aschermittwoch der CSU in Passau lösen Jens und Ulrich mit Schildern mit der lapidaren Aufschrift "So ist es" eine beträchtliche, in ihren Folgen nicht erwartbare Provokation aus.) Der wichtigste Unterschied jedoch besteht in dem gravierenden Vorteil für Ulrich Held, dass er es von außen steuern kann und dabei von niemandem bemerkt wird. Er kann gemütlich zu seinem Fahrrad oben an der Treppe zurückgehen, kann währenddessen noch einmal frische Luft schnappen und fährt dann wieder nach Hause. Seinem Kumpel Jens erzählt er von der gewalttätigen Auseinandersetzung im Onkel Otto. Warum man sich dort schlage, wisse er nicht so genau, so Ulrich scheinheilig, es soll da irgendwie ein technisches Problem gegeben haben, sagt Ulrich Held, nimmt die Fernbedienung aus der Jackentasche, schaltet den Fernseher ab und legt sie obenauf, also da war plötzlich das Spiel weg, und […] ich hab noch jemand schreien gehört, dass das eine Aktion vom Verfassungsschutz sei.

Volksfest, Polizeieinsatz und Vollstreckung
Der Leser bekommt hier einen Vorgeschmack auf das Ereignis, welches anlässlich der Beseitigung der Kohlmaske bevorsteht. Nachdem Versuche aus der Luft oder mit (zu kurzen) Feuerwehrleitern gescheitert waren, benötigt man eine Personen-Arbeits-Bühne, kurz Pab genannt, deren Beschaffung Huld geschickt zu verzögern versteht. Dann jedoch, als der Tag kommt, entsteht so etwas wie eine Mischung zwischen Volksfest, Polizeieinsatz (wir lernen Polizeimeister Höllenschmidt und seine Dienstauffassung kennen) und behördlicher Vollstreckung (Erich Huld hätte am liebsten eine Rede gehalten).
Es gibt südamerikanische Revolutionsfolklore, türkische Tanzmusik, ein Klezmerstück. Vorher muss noch eine Eiche gefällt werden, damit das überbreite Fahrzeug zum Denkmal fahren kann – man wartet auf die Leute vom Gartenamt; es ist Freitag nach 17 Uhr. Man wettet, ob die Stadt den Kohl heute noch wegkriegt und die als Wetteinsätze kursieren: ein Kasten Bier (fünfmal); Labskaus für euch alle ("euch alle" ist eine Gruppe von fünf oder sechs Personen, die den Einsatz geschlossen ablehnen); eine zusätzliche Woche Abwasch machen (zweimal); eine Flasche Korn (dreimal), aufhören zu rauchen 8einmal); drei Tage mit rotlackierten Fingernägeln fahren (ein Fahrradkurier); zwanzig Mark (zweimal); nackt übern Jungfernsteg gehen (einmal); den Unterschied zwischen Bayrisch und schwäbisch lernen (einmal).
Am Ende hat das Ereignis fast religiöse Züge. Das Fällen der Eiche. Das langsame Hinfahren des Fahrzeugs mit der "Pab"; fast wie eine Prozession. Unter "Mandeley", dem Lied von Kurt Weill, fährt der Teleskoparm immer höher hinauf. Es gibt eine Art Lichtshow, die das ganze besonders inszeniert und unter "Goodbye Johnny", grösserem Applaus, der genuine[n] Tätigkeit des Publikums und dem Gegröle einiger Umstehender (Goodbye Birne) steuert die Veranstaltung dem Höhepunkt entgegen, der geschickt noch ein bisschen verzögert wird.  
Mit einer geschickten Rückblendetechnik, die auf den geheimnisvollen Akt der Verhüllung und schließlich den öffentlichen Akt der Enthüllung (durchaus im doppelten Wortsinn) zusteuert, erreicht Barts Roman ein hohes Tempo. Zumal es tatsächlich am Ende dann noch zwei dicke Überraschungen gibt (die jedoch hier nicht verraten werden sollen).

"Goodbye Bismarck" ist ein humoristisch-komödiantischer Roman mit einem guten Schuss Ironie (aber niemals in billigem Zynismus verfallend) und kommt mit unangestrengter, oft lächelnder Leichtigkeit daher. Das Buch ist dabei aber nie seicht oder auch nur oberflächlich. Man wird wegen der Ähnlichkeit des Motivs fast zwangsläufig an Heinrich Spoerls "Maulkorb" erinnert oder, in den besten Momenten, d. h. wenn Bart es gelingt die lokal-gesellschaftlichen Strukturen zu persiflieren, an Carl Zuckmayer. Hinter der harmlosen Fassade verbergen sich dann oft noch ein paar Widerhaken, die sich beim genauen Lesen durchaus erschließen (ein wenig stören die arg überdeutlich sprechenden Nachnamen der Protagonisten). Wie in allen guten Schelmenromanen ist das Schelmische hier nie alleiniger Zweck, sondern auch immer ein bisschen aufklärerisch. Wohltuend ist dabei, dass dem Leser fertige Urteile oder Deutungen erspart bleiben – der Roman ist locker und luftig (und wirkt, obwohl er im Jahr 1990 spielt, aus einer seltsam weit entfernten Zeit, die noch einmal wiederhergestellt wird und auch phasenweise eine kleine Melancholie erzeugt).

Die kursiv gedruckten Passagen sind Zitate aus dem besprochenen Buch.

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S. U. Bart
Goodbye Bismarck
Roman
Plöttner Verlag
200 Seiten
17,90 EUR
ISBN 978-3-938442-62-3



 


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