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Wenn die Tage zappeln
An
jedem ersten Mittwoch im Monat erhält Julio C. Rampf ein Einschreiben.
Die Zustellung ist inzwischen längst ritualisiert: das tragbare Terminal
mit dem Stift, der aussieht wie ein krumm geschlagener Zimmermannsnagel,
die gewagte…und doch für zu leicht befundene Unterschrift Julios, der
Zeigefinger des Postboten, der flüchtig an seine Kopfbedeckung, einen
Tirolerhut fährt, der Wachholderschnaps im Stamperl, das erneute
leichte Berühren des Hutes mit dem Zeigefinger und schliesslich die Drehung
auf der Schwelle beim Verlassen der Wohnung. Und auch der Inhalt dieses
anonymen Einschreibens ist stets gleich: ein einmal gefaltete[s] leere[s]
Blatt. Aber Ines war anders. Nicht wie die Freundinnen vorher, die ihre Küsse nicht ohne Gegenleistung erbringen wollten (um Informationen über den Tod des Vaters zu erhalten). Im blonden Flaum auf ihren Armen verfingen sich die Sonnenstrahlen; sie duftete nach Kakao. Auch nach dem Musikstudium bestritt Ines mit ihrem Laborantinnengehalt weitgehend den Lebensunterhalt der beiden. Der inzwischen entstandene Teufelskreis aus mangelndem Ehrgeiz Julios (gepaart mit eventuell ungenügendem Talent) und hieraus fast zwangsläufig ausbleibendem Erfolg (pekuniär wie künstlerisch) führte immer mehr zu Spannungen. Während Julio nicht erwachsen werden kann (oder will), entwächst Ines dem Mikrokosmos ihres Mannes. Und sie geht zu "ihrem" Juwelier. Aber mit Ines "verliert" Julio nicht einfach "seine" Frau, sondern den Menschen, der ihm Nabelschnur zur Welt war und wenn er von Ines und seinem Leben mit ihr erzählt, gelingt ein wunderbar melancholischer Ton (mit oft sehr schönen Bildern) jenseits aller Trennungsschmerzklischees, Jammereien oder vorwurfsvollem Nachkarten (und auch dann noch, wenn von Ines' Idiosynkrasien die Rede ist, die sie zwischenzeitlich zu einem Therapeuten führten).
Verdächtige und
Nachforschungen Nachforschungen bei der Post scheitern bereits an der Bürokratie der Behörde: Der offizielle Weg war eine Sackgasse. Einer der Sätze in diesem Buch mit gewollt doppeltem Boden: Beschreibung einer tatsächlichen Situation aber eben auch Allegorie. Schließlich sucht Julio die Polizei auf. Aber die Angelegenheit wird nicht verfolgt: von einem leeren Blatt gehe kein Bedrohungspotential aus. Der Polizist rät ihm mit einem Pensionisten, dem Steinbichler Koloman, der auch noch in der Nachbarschaft wohnt, Kontakt aufzunehmen. Der Steinbichler sei Spezialist gewesen für "ungewöhnliche Fälle" und habe Zeit und vielleicht Interesse.
Julio sucht Koloman, der
den Spitznamen Grantler hat und dessen Frau ihn gerüchteweise genau
deswegen verlassen haben soll, auf. Ein Hüne, ein Vier-Zentner-Mann mit zwei
schweren mütterliche[n] Brüste[n]…die in einem überreifen Bauch mündeten,
dem das Atmen hörbar schwer fällt und dessen Cocker Spaniel "Tadzio"
(sic!) auf Julios Bein fixiert ist. Koloman wird ein bisschen wie eine
brummend-austriakische Colombo-Persiflage skizziert (er trägt fast immer das
gleiche Hemd und fährt ein schrecklich altes Auto) und erinnert optisch
tatsächlich zunächst an die Karikaturen von Manfred Deix (insbesondere am
Stammtisch mit den Ehemaligen, den der Pensionär eigentlich meidet). Aber
Koloman ist ein Leser: "Vom Alkohol bin ich runter. Von Büchern noch nicht"
und es zeigt sich, wie schnell Äußerlichkeiten nebensächlich werden.
"Tät dir vielleicht auch
mal ganz gut"
Koloman, der Mann mit dem
manchmal strengen Geruch, der plötzlich neue Schuhe in der Wohnung einläuft, ist
krank. Die Symptome werden schlimmer, die Frequenz der Morphiumpflaster nimmt zu
und die Tournee rückt in weite Ferne. Aus dem Krankenhaus entlässt er sich
selber. Als Koloman…das Wasser endlich zum Herzen gestiegen war, hatte
das Gras auf den innerstädtischen Rasenflächen …längst aufgegeben, war grau,
hatte sich niedergelegt. […] Die Wespen wurden vor der Zeit böse. Und die
Menschen waren es und blieben es.
Intensität und Ironie Wie schon in ego shooter, der brillanten Erzählung über den Proficomputerspieler Kovács, der Weltverzweifelte und gleichzeitig so Bedürftige, zeigt von Arndt auch hier einen Angehörigen einer Generation, die dem Leben nichts mehr abzuringen brauchte, weil schon alles da war – außer das, was sie am meisten ersehnten: Menschlichkeit, Geborgenheit, Miteinander – und das im Lichte des so vergötterten (und gepflegten) Individualismus, der nur zu gerne mit "Glück" verwechselt wird. "Ah, look at all the lonely people", die erste Zeile von "Eleanor Rigby", auch das Motto des Buches: Wenn die Verheißung zum Fluch geworden ist. Die vorgefundene und vorgegebene Welt ist seelen- und lieblos, ja kalt, wenn man nicht im Konsum oder der vordergründigen Erlebnisbefriedigung die Erfüllung sieht.
Der Ausbruch aus der
"selbstverschuldeten" Isolation, die nicht in eine Anpassung an das bestehende
münden soll und Kovács vermutlich nicht gelingt, wird für Julio mindestens als
Möglichkeit vage angedeutet. So könnte es gehen, wenn sich die immer wieder
aufzeigende Resignation zur "köstlichen, unbegreiflichen Demut" (Roberto Bolaño)
entwickelt. Und so vermittelt dieses Buch – so ganz ohne Soziologenslang,
existentialistische Unterfütterung oder pädagogischem Impetus – als reine
Erzählung vor allem eines: Hoffnung. Oder genauer: die Hoffnung auf eine
Hoffnung. Lothar Struck |
Martin von Arndt |
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